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Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus

Titel: Menschenfresser - Gargoyle - Posters Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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… weiß nicht.“
    „Ja, ganz sicher.“ Papier raschelte. „Philipp Poster. Hm, Moment, hier ist die Adresse nicht. Ich sehe im Computer nach. Ah ja, warum nicht gleich so? Das wäre … die Heilbronner Landstraße 165. Ich glaube, das ist ganz draußen vor dem Ort. Er muss ziemlich einsam wohnen. Ich gebe Ihnen noch die Telefonnummer.“
    Karen notierte mit zittrigen Fingern mit. Der apfelförmige Notizblock rutschte ihr ständig weg, und die Buchstaben sahen aus, als hätte eine Hundertjährige sie geschrieben.
    „Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?“, erkundigte sich die Dame, als es lange Zeit still in der Leitung war.
    „Nein … nein, danke. Ich habe nur eine … Frage an ihn. Auf Wiederhören. Sie haben mir sehr geholfen.“
    „Keine Ursache. Auf Wiederhören.“
    Karen ließ sich auf den Fußboden sinken. Sie war unendlich müde. Was, wenn sie jemand so sah? Sebastian? Aber nein, Sebastian war ja in der Schule. Ganze zwei Tage, nachdem er seinen Vater schwer verletzt hatte, war er schon wieder in der Schule. Viel schneller, als sie zu hoffen gewagt hatten. Es schien ihm gut zu gehen. Er schämte sich, aber der Schock schien nicht so tief zu sitzen wie bei seiner Mutter. „Ich bin ihm nicht böse“, hatte er gesagt, während er zusah, wie die Sanitäter seinen Vater stützten und in den Notarztwagen bugsierten. „Ich konnte einfach nicht zulassen, dass er dich weiter bedrohte. Ich muss dich beschützen.“ Er hatte sehr nüchtern und ein wenig traurig geklungen.
    Holger lag noch im Hospital, sollte aber bald entlassen werden. Er hatte eine Menge Blut verloren, und eine Sehne war durchtrennt worden. Wie würde es werden, wenn er wieder zu Hause war? Karen konnte es sich nicht vorstellen.
    Sie schlief auf dem Fußboden des Flurs ein, ihr Rücken gegen die Wand gelehnt. Zwei Stunden später wachte sie auf, fühlte sich noch immer benommen, aber weniger schläfrig. Sie musste handeln, jetzt sofort, ehe Seb aus der Schule kam.
    Karen schlurfte ins Badezimmer und hielt ihren Kopf eine Minute unter das kalte Wasser. Danach fühlte sie sich, als habe man sie auseinandergenommen und verkehrt herum wieder zusammengesetzt, aber ihre Augen sahen wieder klarer, und sie schwankte nicht mehr so sehr beim Gehen. Beim Umziehen breitete sie die Landkarte auf ihrem Bett aus und suchte nach der Heilbronner Landstraße.

4
    Karen drückte den Haltewunsch-Knopf, und ein rotes „Wagen hält“ leuchtete auf. Außer ihr befanden sich nur zwei weitere Leute in dem Bus. Zuerst hatte sie das eigene Auto nehmen wollen, doch als sie nach fünf Minuten noch immer nicht aus der engen Garage gekommen war, sah sie ein, dass es keinen Sinn hatte, es weiter zu versuchen. Sie gefährdete nur sich selbst und andere, wenn sie in diesem Zustand fuhr. Auf der Karte hatte sie gesehen, dass es eine Linie gab, die an dem Haus vorbeikam, zu dem sie wollte. Die Haltestelle war dreihundert Meter von ihrem Zielort entfernt. Dieser kleine Fußmarsch würde ihr gut tun.
    Poster wohnte tatsächlich einsam. Vor zwei Minuten hatten sie den Ortausgang von Windsteinen hinter sich gelassen, und auf einige von Feldern umgebene Höfe folgte nun ein kleines Wäldchen. Von der Landstraße führte eine schmale Einfahrt zwischen die hohen Fichten hinein, an deren Ende sich die Villa befinden musste, die der Theaterlehrer ihres Sohnes bewohnte. Als der Bus den Ort passierte, beschlich sie ein schwer einzuordnendes Gefühl. Eine Art Erleichterung, an der Einfahrt vorübergefahren zu sein. Doch dann hielt das Fahrzeug, sie stieg aus und ging an der Straße entlang zurück.
    Es war ein eisiger Dezembertag, kurz vor Weihnachten. Die Zeit der Familiendramen – sie hatten sie nur um ein paar lächerliche Tage nach vorne verlegt. Es gab keinen Schnee, aber er lag in der Luft. Der Wind kam in kurzen, heftigen Böen, unnatürlich beinahe, als wolle er sie absichtlich quälen. Messerstiche. Sie musste an Messerstiche denken. Wie hatte ihr Sohn nur so etwas tun können?
    Sie wussten es nicht, und sie wusste nicht einmal, ob sie es jemals erfahren würde. Nach dem entsetzlichen Vorfall hatte sich die Situation erstaunlich schnell entspannt. Ein Beamter aus dem winzigen Polizeiposten in Windsteinen war gekommen, hatte ein Gespräch mit ihr geführt und sie beruhigt. So etwas komme vor. Es werde sich schon wieder einrenken. Sie hatte erwartet, dass man ihr Vorhaltungen wegen ihrer Erziehung machte oder dass Holgers Jähzorn thematisiert würde. Stattdessen

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