Menschenhafen
eingeladen. Das war er auch, aber erst eine Woche später.
In jenem Sommer, in dem alles in die Brüche ging, hatte Henriks und Björns Begeisterung begonnen, ungesunde Proportionen anzunehmen. Sie kleideten sich wie Morrissey und hatten sich Rockabillyfrisuren zugelegt. Als Björns Augen so schlecht wurden, dass er eine Brille benötigte, hatte er die Nachricht freudig aufgenommen, weil ihm das einen Grund gab, sich ein grau meliertes Plastikgestell zu beschaffen, ähnlich dem, das man beim Militär bekam und noch ähnlicher dem … ja, genau.
Die intensive Auseinandersetzung mit den Smithtexten führte dazu, dass sie die englische Sprache besser beherrschten als alle anderen auf Domarö, und als in »Cemetery gates« Wilde, Keats und Yeats aufgezählt wurden, hatten sie sich die Gedichte und Erzählungen der Autoren in die Stadtbücherei von Norrtälje bestellt und anschließend den wolkenverhangenen Frühling der Aufgabe gewidmet, die Bände mithilfe von Wörterbüchern zu dechiffrieren.
Sie hätten glücklich sein können.
Sie versuchten erst gar nicht, sich anzupassen, weil sie wussten, dass es unmöglich war, und blickten mit kaum verhohlener Verachtung auf die anderen herab, die sich Lederbänder um die Handgelenke banden und Gruppen mit einem »Z« im Namen hörten. Sie streuten direkte Zitate aus Smithsliedern in schwedischer Übersetzung in ihre Bemerkungen ein, und dies sind die Reichtümer der Armen .
Doch das Zitat stammte aus dem Lied »I want the one I can’t have«, und da lag das Problem. Man hätte Henrik und Björn als zwei schräge Vögel im Umkreis der Gruppe dulden können, wenn sie nur gewusst hätten, wo sie hingehörten. Wenn sie nicht etwas angestrebt hätten, das sie niemals bekommen konnten.
Sommer 1986. Olof Palme war tot, und die Blaubeersträucher auf Domarös Südseite wurden misstrauisch beäugt, als ihre Wurzeln Wasser aus Regenwolken aufsaugten, die von Osten kamen. Sonny Crockett aus Miami Vice war eine Stilikone, und alles war auf der einen Seite Pastellfarben, auf der anderen Black Celebration . Ja, Anders hielt an Depeche Mode fest, obwohl Tracks »A question of lust« spielte, bis es einem zu den Ohren herauskam.
Henrik und Björn taten praktisch alles als idiotisch ab. Das Einzige, was in ihren Augen Gnade fand, war die Fernsehserie Ich, Claudius, Kaiser und Gott , eine ältere Produktion und außerdem von der BBC. Aus England, aus London . Björn präsentierte eine großartige Imitation des stotternden Kaisers, die leider Perlen vor die Säue war, da außer ihm und Henrik niemand »eine Menge alter Knacker in Betttüchern, die komisch reden«, sehen wollte.
Genug davon. Es gibt Leute, die sich erinnern, wie es war, für alle anderen müssen diese Spritzer aus Pastell auf schwarzem Grund reichen. Sommer 1986. Todesangst und weiße Zähne, der Untergang der Welt und Aerobic. Genug davon.
Für die Clique war es der Sommer, in dem man anfing, Alkohol zu trinken. Begonnen hatte es im Sommer des Vorjahrs mit heimlichen Schlucken aus den Flaschen der Eltern, aber im Sommer 1986 ging es mit der Fähre nach Åland.
Martin war groß und breitschultrig. Bei ihm sprossen seit Neuestem sogar Barthaare, die er einige Tage wachsen ließ, ehe man mit Joels Boot ein paar Mal hin und her fuhr, um die ganze Clique nach Kapellskär zu bringen, von wo aus man die Fähre nahm. Martin ging im Duty-free-Shop einkaufen, und anschließend torkelte man durch Mariehamn auf den Åland-Inseln und trank, so viel man sich traute.
Es kam vor, dass Henrik und Björn leer ausgingen, wenn der Alkohol verteilt wurde, und auf der dritten Fahrt des Sommers, Anfang August, nahmen sie die Sache deshalb selbst in die Hand. Auf der Heimreise waren sie schweigsamer als sonst und gingen nur in den Duty-free-Shop, um Süßigkeiten zu kaufen.
Der Grund für ihr rätselhaftes Verhalten wurde deutlich, als man in Kapellskär an Land gegangen und in Sicherheit war. Da erst öffneten sie ihre Jacken. In den Hosenbund und in Taschen hatten sie sich zwölf Halbliterflaschen Bacardi gestopft. Alle fanden, dass sie vollkommen irre waren, und sie wurden mit Schulterklopfern und Plätzen auf der ersten Heimfahrt in Joels Boot belohnt.
Sonst blieben nach dem Tag in Mariehamn ein oder zwei Liter Schnaps übrig. Jetzt aber hatte man auf einmal einen Vorrat, der noch dazu gratis war. Es wurde beschlossen, die Flaschen unter der alten Fischerhütte auf Kattholmen zu verstecken. An diesen Absprachen waren Henrik und Björn
Weitere Kostenlose Bücher