Menschenhafen
eine Meinung äußern konnte: »Ich raff echt nicht, wozu George Michael diesen Andrew Ridgeley dabeihat. Die müssen irgendwie zusammen sein oder so«, aber eigentlich hörte er vor allem Depeche Mode, und damit stand er allein.
Eines Abends, kurz bevor es Zeit war, sich nach dem Sommer zu trennen, waren er und Cecilia allein in Anders’ Haus gewesen, und er hatte es getan: Er hatte ihr »Somebody« vorgespielt. Zu seiner maßlosen Erleichterung gefiel ihr das Stück richtig gut, und sie wollte es noch einmal hören. Anschließend hatten sie geschmust. Ein bisschen.
Als Anders in den Weihnachtsferien auf die Insel hinauskam, hatten Henrik und Björn sich verändert. Altersmäßig waren sie ein halbes Jahr auseinander, aber auch in ihren körperlichen und psychischen Veränderungen schienen sie einander zu gleichen wie siamesische Zwillinge. Beide waren gewachsen, hatten Pickel bekommen, die unschuldige Naivität hinter sich gelassen, die sie bis dahin geprägt hatte, und waren stattdessen stiller, in sich gekehrter.
Dennoch trafen sie sich in dieser Woche ziemlich oft, fuhren mit dem Bock auf dem Eis zur Insel Kattholmen hinaus und widmeten sich Fantasiespielen im Wald. Sie brauchten es nicht einmal auszusprechen, dass diese anderen gegenüber nicht erwähnt werden durften, das verstand sich von selbst. Mit demselben stillschweigenden Einverständnis hörten sie zudem auf, einander Idiot zu nennen. Die Zeit war vorbei.
Anders ließ sie an seiner neuesten Entdeckung teilhaben: The Smiths. Er hatte zu Weihnachten einen Walkman geschenkt bekommen, in dem sich mehr oder weniger ununterbrochen Hatfull of hollow drehte. Henrik hatte die Gästehütte auf dem Grundstück seiner Eltern als eigenes Zimmer bekommen, und dort saßen sie zusammen und lauschten »Heaven knows I’m miserable now« und »Still ill«. Als Anders in die Stadt zurückkehren sollte, erkundigte sich Henrik, ob Anders ihm nicht eine Kassette aufnehmen könne. Anders schenkte ihm das Band, das er dabeihatte, da er sich nach seiner Heimkehr eine neue Kassette aufnehmen konnte.
Als es Sommer wurde, war nicht zu übersehen, dass Henrik und Björn ihr Ding gefunden hatten. Meat is murder war ein paar Monate zuvor erschienen, und Anders fand, dass die Platte nicht an Hatful of hollow heranreichte. Henrik und Björn sahen das ganz anders. Sie kannten jede Zeile Text auf der Platte auswendig und waren beide Vegetarier geworden, wahrscheinlich die ersten, die es jemals auf Domarö gegeben hatte.
Man muss nicht näher auf die Musik eingehen, die in jenem Sommer in war, es reicht festzustellen, dass The Smiths nicht dazugehörte. Wenn Henrik und Björn höher im Kurs gestanden hätten, wäre unter Umständen die ganze Clique umhergezogen und hätte »It’s death for no reason and death for no reason is murder« skandiert, aber so lagen die Dinge nun einmal nicht. Aus heutiger Sicht waren Henrik und Björn natürlich am coolsten, aber was nützte ihnen das damals? Nichts. Sie waren Landeier und tickten nicht ganz sauber.
Sie versuchten, Anders als Mitglied ihrer privaten Sekte anzuwerben, aber Anders weigerte sich. Zum einen lag es ihm nicht, von etwas besessen zu sein, das mit Musik zusammenhing, zum anderen schienen Hubba und Bubba die Seuche zu haben. Verbrachte man Zeit mit ihnen, lief man Gefahr, zu den Verseuchten gezählt zu werden. Wenn die ganze Gruppe versammelt war, wurden sie nach wie vor toleriert, aber keiner wollte als ihr Freund gelten.
Wenn die Clique am Ufer zusammenhing, um Würstchen zu grillen und Leichtbier zu trinken, aßen Henrik und Björn keine Wurst, weil alles Fleisch Mord war. Wenn in Joels Gettoblaster »Forever young« von Alphaville lief, grinsten sie höhnisch über den infantilen Text in miserablem Englisch und verglichen ihn mit dem größten lebenden Dichter: Stephen Patrick Morrissey.
Und so weiter. Sie pflegten ihre Außenseiterrolle und wussten, dass sie in dem blassen Mann aus Manchester einen Freund gefunden hatten. Jemand, der wusste, was es hieß, an einem Ort aufzuwachsen, an dem nichts passierte und wo »each household appliance is a new science«. Ein Bruder im Exil.
In diesem Winter blieb Anders nur kurz auf Domarö und ging Henrik und Björn aus dem Weg. Sie riefen ihn im Frühjahr an, als sie ihre Pilgerfahrt nach Stockholm antreten wollten, um The queen is dead zu kaufen, und erkundigten sich, ob sie bei ihm übernachten könnten, aber Anders erklärte, er sei zu einem Abendessen bei Cecilias Mutter
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