Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
zuzuschlagen.
    Als Lennart zurückkam, gab Arvid ihm den Mantel, zog die Lederjacke über seine nackte Haut und erklärte, dass er jetzt allein zurechtkommen werde. Anschließend wankte er heimwärts, in seinen Schuhen gurgelte das Wasser.
    Auf Höhe des Lebensmittelladens blieb er stehen und schaute den Weg hinunter, auf dem Mårten zu seinen Eltern getragen wurde – zwar immer noch lauthals heulend, aber lebendig. Arvid zog die Jacke enger um sich und horchte in sich hinein.
    Es war schon seltsam.
    Er hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass die Jacke ihn wärmte. Und sie war auch nicht mehr zu groß. Sie passte. Perfekt.
    Wieder nach Gåvasten
    Die Kälte zwackte in seinen Wangen, seine Augen tränten. Anders hatte sich möglichst warm angezogen und trug unter seiner Steppjacke eine Schwimmweste, aber der Fahrtwind drang durch jede Ritze, und er hatte erst die halbe Strecke nach Gåvasten zurückgelegt, als er auch schon völlig durchgefroren war.
    Anfangs hatte er geglaubt, mit seinen Augen stimme etwas nicht, dass er Punkte sähe, aber aus seiner jetzigen Entfernung konnte er eindeutig erkennen, dass diese Punkte, die um Gåvasten am Himmel schwirrten, tatsächlich Vögel waren. Die Art ließ sich nicht bestimmen, aber da sie unterschiedlich groß waren, gehörten sie bestimmt auch verschiedenen Vogelarten an.
    Simons 20-PS-Motor brummte monoton, der Plastikrumpf schlug gegen die Wellen. Sein Gesicht war von der Kälte so starr, dass er es nicht mehr spürte, wenn ein paar Tropfen hochspritzten und Wangen oder Kinn trafen. Er hielt den Blick starr auf Gåvasten gerichtet, seine linke Hand war fest um den Gasgriff geschlossen und dieser auf Vollgas gedreht. Er war ein auf Domarö abgeschossener Pfeil, der in gerader Linie auf das ovale Fenster des Leuchtturms zuschoss.
    Dennoch entging ihm nicht, dass etwas einsickerte und an seiner unerschütterlichen Entschlossenheit nagte. Ein unangenehmes, geleeartiges Wabern verstärkte sich in seiner Brust, je näher er dem Leuchtturm und dem Vogelgewirr kam. Ein Gefühl, das ihm so vertraut war wie ein verhasster Verwandter: Angst. Die normale, gute alte Angst, die den Pfeil ins Trudeln brachte und langsamer werden ließ.
    Das Motorengeräusch wurde tiefer, als er vom Gas ging und das Boot die letzten hundert Meter zum Ziel tuckerte. Wie er vermutet hatte, waren verschiedene Vogelarten um den Leuchtturm versammelt. Die wild flatternden Flügel der Schellenten, die schweren Körper der Stockenten und das elegante Gleiten der Möwen auf den Luftströmen. Auf dem Meer vor dem Leuchtturm schaukelten sogar Schwäne.
    Was tun sie?
    Viele Vögel hingen in der Luft und umkreisten den Leuchtturm, aber noch mehr trieben in Schwärmen auf dem Wasser. Sie schienen mit ihrem Verhalten keine bestimmte Absicht zu verfolgen, außer eine einige Front zu demonstrieren und zu sagen: Hier sind wir.
    Trotzdem war einem nicht wohl bei der Sache. Anders hatte Hitchcocks Die Vögel zwar nicht gesehen, konnte sich aber sehr wohl vorstellen, was es bedeuten würde, wenn eine solch große Zahl von Vögeln sich plötzlich zum Angriff entschloss. Im Moment machten sie zwar keine Anstalten dazu, aber änderte sich das eventuell, wenn er die Insel betrat?
    Als das Boot in die erste Ansammlung von Vögeln hineinglitt, paddelten die Tiere rasch zur Seite, und er hatte das Gefühl, dass sie ihn aggressiv anglotzten. Er beschloss, die einzige Waffe oder vielmehr den einzigen Schutz einzusetzen, der ihm zur Verfügung stand.
    Er ging in den Leerlauf, griff nach der Plastikflasche, atmete tief durch und trank anschließend zwei Schlucke Wermutkonzentrat.
    Der ekelhafte Geschmack brannte in Mund, Hals, Magen, und in seinem Schädel loderten die Flammen auf, leckten ihm durchs Gehirn. Er schluckte den Würgreiz hinunter, drehte die Flasche zu und legte die Hand erneut um den Gasgriff. Die Vögel schwammen fort und machten für ihn eine federlose Straße bis zum Felsen frei.
    Er zögerte kurz, ehe er den Fuß auf den Stein setzte. Dann stieg er aus dem Boot und schaute sich um. Die Vögel wirbelten weiter durch die Luft, ihre Schreie schienen intensiver zu werden. Aber sie griffen ihn nicht an. Er zog das Boot heraus, so gut es eben ging, und legte die Leine um einen Stein.
    Jetzt stand er also wieder auf Gåvasten.
    Bei seinem ersten und bis jetzt letzten Besuch an diesem Ort waren die Felsen schneebedeckt gewesen. Nun sah er, dass das Meer sie blank geschliffen hatte und sich rosafarbene und weiße Adern durch

Weitere Kostenlose Bücher