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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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erzählte, während sie hinterher aufs Wasser hinaussahen, lief ein kleines Stoßgebet durch Anders’ Kopf: Lass niemanden kommen, lass niemanden kommen . Er fragte sich, ob Cecilia das Gleiche dachte wie er, oder ob das hier für Mädchen völlig normal war.
    Okay, es war eigentlich nicht so peinlich, dass er und Cecilia hier saßen und ein Eis aßen, zu dem er sie eingeladen hatte, aber er wollte darüber hinaus nicht, dass dieser Augenblick, diese Stimmung endete. Auch wenn er unsicher war und nicht recht wusste, wie er sich benehmen sollte, fühlte er sich doch trotz allem unglaublich wohl. Es war einfach das Beste , mit Cecilia zusammenzusitzen.
    Als sie ihr Eis gegessen und eine Weile aufs Meer geschaut hatten, bestätigte sich Anders’ Verdacht, dass so etwas für Mädchen selbstverständlicher war, denn Cecilia stand auf, wischte sich die Hände an ihren Shorts ab und fragte: »Sollen wir zu dir gehen?«
    Anders konnte nur nicken. Cecilia holte ihr Fahrrad und zeigte auf den Gepäckträger. »Spring auf. Ich fahr dich.« Er setzte sich rittlings auf den Gepäckträger, und Cecilia stieß sich ab, und sie rollten den Hang am Laden herunter.
    Was sollte er sonst tun. Es war ganz natürlich. Anfangs versuchte er noch, die Balance zu halten, indem er sich am hinteren Ende des Gepäckträgers festhielt, aber der Weg war voller Schlaglöcher und er schwankte so, dass ihr Fahrrad beinahe umgekippt wäre. Also legte er die Hände auf ihre Hüften.
    Die Wärme ihrer Haut übertrug sich auf seine Handflächen, die Sonne schien am Himmel, und der Fahrtwind strich ihm über die Stirn. Sie rollten durchs Dorf, und er umarmte sie. Die Minuten, die sie benötigten, um zu ihm nach Hause zu rollen und zu treten, waren die bis dahin glücklichsten seines Lebens. Sie waren … perfekt.
    Cecilia stellte das Fahrrad am Holzschuppen ab und nickte zum Räucherofen hin, der noch leicht rußte. »Was macht ihr?«
    »Wir wollten räuchern, aber daraus ist nichts geworden.«
    »Bücklinge räuchern?«
    »Mm.«
    Anders verkniff es sich, sie zu berichtigen. Bücklinge waren geräucherte Heringe. Wenn man sagte: »geräucherte Bücklinge«, war es, als würde man »eine gebogene Kurve« oder »ein kaltes Eis« sagen, aber das war vermutlich eine Bauernweisheit, auf die man sich lieber nichts einbilden sollte.
    Als Cecilia bei ihm war, sah er es ganz deutlich: Ihr Grundstück sah anders aus als die der anderen. Hier gab es den Hackklotz und den Räucherofen und alten Schrott, den sein Vater aufbewahrt hatte, weil man ihn »vielleicht noch einmal gebrauchen konnte«. Keine säuberlich geschnittenen Rasenflächen oder Beerensträucher in ordentlichen Reihen. Kein Federballplatz und keine Hollywoodschaukel. Das fiel ihm sonst niemals auf. Jetzt sprang es ihm ins Auge.
    Cecilia ging auf das Haus zu, und Anders dachte, dass sein Zimmer glücklicherweise wenigstens genauso aussah wie die Zimmer der anderen.
    Was sollen wir in meinem Zimmer machen? Wofür interessieren sich Mädchen?
    Er hatte viele Comics. Er wusste nicht, ob Cecilia Comics las. Er hatte Bücher. Sollten sie vielleicht etwas backen ? Er konnte sowohl Marmorkuchen als auch Hörnchen backen. Backte sie gern?
    Weiter kam er in seinen Überlegungen nicht, weil Cecilia stehen geblieben war und etwas auf der Erde betrachtete. Er eilte zu ihr, und als er sah, worauf ihr Blick fiel, sackte ihm das Herz in die Hose.
    Neben dem struppigen Stachelbeerstrauch kurz vor dem Haus lag sein Vater auf dem Bauch, seine Arme lagen am Körper an, und das Gesicht war dem Erdboden zugewandt. Cecilia wollte zu ihm gehen, aber Anders packte ihre Schulter.
    »Nein«, sagte er. »Komm. Wir gehen.«
    Cecilia machte sich frei. »Wir können ihn doch nicht so liegen lassen. Er könnte ersticken.«
    Auch wenn Anders seinen Vater noch nie so betrunken gesehen hatte, dass er sich mitten am Tag zum Schlafen hinlegte, war die Sauferei an sich doch nichts Neues für ihn. Wenn er abends nach Hause kam, saß sein Vater manchmal mit glasigen Augen am Tisch und redete Unsinn, und Anders versuchte sich dann so gut es ging von zu Hause fernzuhalten. Jetzt schämte er sich so, dass er am liebsten im Erdboden versunken wäre.
    Cecilia hockte sich neben seinen schlafenden Vater und rüttelte an dessen Schulter. »Du«, sagte sie. »Hallo.« Sie wandte sich an Anders. »Wie heißt er?«
    »Johan. Aber lass ihn in Ruhe. Er ist einfach nur voll.«
    »Johan«, sagte Cecilia und rüttelte fester. »Johan, du kannst hier

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