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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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hatte. Anders wusste es inzwischen besser.
    In jener Nacht, konfrontiert mit dem Meer, mit der Tiefe, die er überqueren sollte, hatte sein Vater plötzlich Angst bekommen. Er hatte die Flasche mit Wermut aus dem Boot geholt und sich Mut zu machen, sich zu schützen versucht.
    Es mochte an der Vergiftung oder an seiner Angst gelegen haben, die einfach nicht weichen wollte, jedenfalls hatte er sich unter den Persenningen zusammengekauert. Wie ein Kind.
    Wie ich.
    Er hatte sich unter der Decke zusammengekauert und gehofft, dass es verschwinden und ihn in Ruhe lassen würde.
    Anders sah es besser vor sich, als ihm lieb war. Das Meer, die Nacht, das Grauen. Man hatte die Lichter und die Menschen hinter sich gelassen und wurde auf einmal von jener Angst übermannt, mit der man nicht verhandeln konnte und gegen die es nur ein Mittel gab: Versteck dich! Sorg dafür, dass es dich nicht sieht!
    »Oh Papa … mein Kleiner …«
    Der Aalstecher
    Simon saß kerzengerade am Küchentisch, die Hände brav in den Schoß gelegt, während Anna-Greta in den Eckchen räumte. Ein Hochzeitskleid sollte ausgesucht werden, und er wartete darauf, dass ihm eine Auswahl präsentiert wurde.
    Den Vormittag hatten sie mit den Vorbereitungen des nächsten Tages zugebracht. Sie hatten telefoniert und alle eingeladen, die sie einladen wollten, das Gemeindeheim für einen kleinen Empfang gemietet und beim Supermarkt in Norrtälje Sandwichtorten bestellt. Am Morgen vor der Trauung würde Anna-Greta zu einer Freundin in Nåten hinüberfahren, die früher als Friseuse gearbeitet hatte und noch das eine oder andere von Haartracht und Maniküre verstand.
    »Und was soll ich machen?«, fragte Simon.
    Anna-Greta hatte gelacht. »Tja, du wirst wohl … deine letzten Stunden in Freiheit genießen, nehme ich an. Deine Fliege binden.«
    Simon hatte Göran angerufen und ihn eingeladen und gleichzeitig mit ihm verabredet, dass Simon seine Stunden genießen würde, indem er sich endlich um Görans Brunnen kümmerte. Er musste irgendetwas tun, sonst würde er doch nur nervös werden.
    Obwohl Anna-Greta den ganzen Prozess vorangetrieben hatte, als wollte sie es einfach hinter sich bringen, sah alles auf einmal ganz anders aus, als die Sache konkret wurde. Als Erstes kam der Empfang, dann die Sandwichtorten und Einladungen. Es folgte die Idee, dass sie sich vorher schön machen würde. Und jetzt ging es um das Kleid.
    Diese plötzliche Hausse färbte auf Simon ab. So grübelte er im Moment etwa darüber nach, ob er seine Lackschuhe anziehen sollte oder nicht und ob sie ihm überhaupt noch passten. Ob er vielleicht sogar seine Haare pomadisieren sollte.
    In den Eckchen wurde es still. Anna-Greta hatte etwas gefunden und kam heraus. Simon streckte sich. Um die Wahrheit zu sagen, fand er das Ganze durchaus amüsant. Die Hochzeit und alles, was damit zusammenhing, hatten eine neue, eine weiblichere Seite Anna-Gretas hervorgelockt. Solange sie es damit nicht übertrieb, gefiel die ihm auch.
    Anna-Greta betrat die Küche mit einem Stapel Kleider über dem Arm und hatte etwas in der Hand, das sie auf der Arbeitsfläche der Küchenzeile ablegte. Sie hielt die Kleider nacheinander hoch, und am besten gefiel Simon ein beiges aus relativ grobem Stoff, das mit weißen Blumen bestickt war. Es war auch Anna-Gretas erste Wahl, und damit hatte sich die Sache erledigt. Als Anna-Greta die ausgemusterten Kleider weggehängt hatte, holte sie den Gegenstand von der Arbeitsfläche und legte ihn vor Simon auf den Küchentisch.
    »Erinnerst du dich an den hier? Ich hab ihn da drinnen gefunden.«
    Auf dem Tisch lag ein kleiner Aalstecher aus Metall. Simon nahm ihn in die Hand und drehte ihn zwischen den Fingern.
    Aber ja, natürlich erinnerte er sich.
    Als Johan achtzehn war, hatten er und Simon neben Anna-Gretas Haus einen Kräutergarten angelegt. Beim Umgraben hatte Johan dann den Aalstecher entdeckt. Sie hatten sich Bücher ausgeliehen, um der Sache auf den Grund zu gehen, und herausgefunden, dass der Aalstecher mindestens tausend Jahre alt war.
    Der Fund weckte Johans Interesse, und den ganzen Sommer über lieh er sich Bücher aus und las weiter. Am meisten faszinierte ihn die Tatsache, dass ihr Grundstück, der Ort, an dem ihr Haus stand, unter Wasser, tief unter Wasser gelegen hatte.
    Über die Landhebung, das Aufsteigen der Inseln aus dem Meer mit einem guten halben Zentimeter pro Jahr, hatte er natürlich in der Schule gelesen. Aber durch den Aalstecher wurde die Sache wirklich

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