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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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so fest, dass es vor seinen Augen rot flimmerte. Er stolperte in die Küche, zog die Fotos zu sich heran und betrachtete seine Familie. Cecilias warme, gütige Augen, die in seine sahen. Seine Unterlippe zitterte, als er den Telefonhörer abhob und ihre Nummer wählte. Sie meldete sich nach dem zweiten Klingelzeichen.
    »Hallo, ich bin’s«, sagte er.
    Man hörte ein leises Seufzen am anderen Ende der Leitung. »Warum rufst du an?«
    Anders zog die Hand zweimal fest durch seine Haare, kratzte sich über die Kopfhaut. »Ich muss dich was fragen. Ich muss was sagen. Maja war doch nicht böse, oder?«
    Es kam keine Antwort, und Anders kratzte sich mit den Fingernägeln so fest den Kopf, dass es anfing zu bluten.
    »Sie sagen das nämlich«, fuhr er fort. »Sie behaupten das. Aber du und ich … wir wissen doch, dass das nicht stimmt, oder?«
    Mit jeder Sekunde, die verstrich, ohne dass Cecilia ihm antwortete, wuchs im Inneren seines Kopfes etwas, das so groß und so schmerzhaft war, dass er sich am liebsten den ganzen Schädel abgekratzt hätte.
    »Anders«, antwortete Cecilia schließlich. »Hinterher … hast du sie zu etwas anderem gemacht. Als sie war.«
    Anders’ Stimme wurde zu einem Flüstern. »Was sagst du denn da? Sie war doch toll. Sie war doch … ganz toll.«
    »Ja, das war sie. Auch. Aber …«
    »Für mich war sie nie anders. Für mich war sie immer wundervoll. Immer.«
    Cecilia räusperte sich, und als sie von Neuem das Wort ergriff, schwang eine ungeduldige Schärfe in ihrer Stimme mit. »Wenn du es so haben willst, bitteschön. Aber so war es nicht, Anders.«
    »Wie war es denn dann? Ich fand immer, dass sie … das Tollste war, was man sich nur vorstellen kann.«
    »Das hast du dir hinterher eingeredet. Du hast es nicht ausgehalten mit ihr. Du hast sogar im Scherz davon gesprochen, sie einzutauschen gegen …«
    Anders knallte den Hörer auf die Gabel. Vor dem Fenster war es mittlerweile dunkel. Er fror so, dass er zitterte. Er sank auf die Knie und krabbelte ins Badezimmer, wo er sich erneut mit dem Rücken gegen den Heizkörper setzte, ins Wasch becken starrte und auf seinen Lippen kaute, bis sein Mund nach Metall schmeckte.
    Seine Hände hingen schlaff herab, die Handrücken ruhten auf dem Boden. Es roch schwach nach Urin, und sein Mund klebte nach einem ganzen Tag ohne andere Flüssigkeit als Wermut und Wein. Er war ein vertrocknetes kleines Nichts, ein verschrumpelter Rest von etwas, das es vielleicht noch nicht einmal gegeben hatte.
    »Ich bin nichts.«
    Er sagte es in der Dunkelheit laut zu sich selbst, und die Worte trösteten ihn, sodass er sie wiederholte: »Ich bin nichts.«
    Es war nichts Neues, dass sein Leben in den letzten Jahren ein Dreck gewesen war. Das wusste er. Aber bis jetzt hatte er wenigstens geglaubt, Erinnerungen an ein Leben im Licht, an gesegnete Jahre mit Cecilia und Maja zu haben.
    Aber so war es nicht. Nicht einmal das hatte er.
    Er kicherte. Er kicherte noch mehr. Dann legte er sich der Länge nach auf den Bauch und leckte den Fußboden um den Toilettensitz ab, machte am Porzellan hinauf weiter. Es schmeckte salzig. Haare klebten auf seiner Zunge, trotzdem leckte er weiter. Er säuberte die Ränder, leckte die Ablagerungen auf dem Sitz ab und schluckte zum Abschluss den bitteren Schleim, der sich in seinem Mund gesammelt hatte.
    So. Das hätten wir. So.
    Er zog sich auf die Füße, atmete zweimal tief durch und sagte es noch einmal. »Ich bin nichts.«
    Das wäre gesagt. Das wäre geklärt. Auf festeren Beinen ging er in die Küche, setzte sich wieder an den Tisch und schaute zu Gåvasten hinüber, wo der Leuchtturm begonnen hatte, Signale in die Nacht auszusenden. Er trieb auf einem Meer in völliger Windstille. Keine Wellen aus Erwartungen oder falschen Erinnerungen versperrten ihm die Sicht.
    Du hast mich verlassen.
    Ja. Er hatte das Gefühl nicht genau benennen können, als es da gewesen war, aber nun, da es ihn verlassen hatte, spürte er die Abwesenheit. Maja war nicht mehr in ihm. Er hatte sie ausgetrieben. Sie hatte ihn verlassen.
    Nichts.
    Eine halbe Stunde blieb er, den Kopf in die Arme gelehnt, so sitzen und war anschließend völlig durchgefroren, während er akzeptierte, wie es gewesen war. Maja war schrecklich gewesen. Oft hatte er sich gewünscht, sie wäre nie geboren worden. Er hatte es mehrmals laut ausgesprochen: dass er sich wünschte, sie würde verschwinden. Dass sie Maja gegen einen Hund, einen braven Hund eintauschen könnten.
    Ich

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