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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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zwängen. Er fiel auf den Bootssteg, sein Körper machte einen Satz, und er glitt ins Wasser.
    »Der da«, hatte sein Vater mit einer gewissen Bewunderung in der Stimme gesagt. »Der wollte wirklich leben.«
    Hinterher hatten sie darüber gelacht, dass sein Vater so groß und stark und der Aal so klein und zäh war. Und dass der Aal gewonnen hatte.
    Keiner hat so lange, so starke Finger.
    Trotzdem war es möglich hindurchzuschlüpfen. Wenn der Lebenswille nur groß genug war.
    Komm herein
    Um halb sechs legte das Boot auf Domarö an, und ein Mann, der nicht mehr sterben wollte, verließ die Gruppe fröhlicher Menschen, die von Bord ging. Er lief in westliche Richtung. Auf Höhe der Jugendherberge musste er seine Schritte verlangsamen, da sein neu erwachter Lebenswille nicht mit einer neuen Lunge einherging.
    Anders joggte zu dem Punkt, an dem sich der Weg gabelte. Das letzte Stück musste er gehen, weil seine Luftröhre pfiff und er das Gefühl hatte, durch einen Strohhalm zu atmen. Er passierte die kerzengerade Kiefer, zog die Tür zu seinem Haus auf und ging, ohne sich die Schuhe auszuziehen, in die Küche. Er lehnte sich über die Spüle, öffnete den Wasserhahn und trank wie ein Mensch, der eine Wüste durchwandert hatte. Er keuchte, atmete tief durch, trank weiter. Richtete sich auf, seufzte, trank erneut.
    Er trank, bis sein Magen prall gefüllt war und das kalte Wasser durch seine Kehle wieder hochzukommen drohte. Dann legte er sich auf den Fußboden. Als er sich ruckelnd von links nach rechts drehte, hörte er es in seinem Magen gluckern.
    Komm herein. Ich trage dich.
    Er schloss die Augen und lauschte, horchte in sich hinein.
    Er hatte Simon und Anna-Greta versprochen, zu Anna-Gretas Haus hinaufzukommen, sobald er erledigt hatte, was er in Smäcket tun wollte. Dennoch blieb er auf dem Boden liegen und wartete, während das Wasser in seinem Körper allmählich aufhörte, ein separater, kalter Kloß zu sein, während es auf Körpertemperatur erwärmt und ein Teil von ihm wurde.
    Bist du da?
    Es kam keine Antwort, und der Zweifel schlug seine Krallen in ihn. Wenn Simon sich nun geirrt hatte. Wenn Simon recht hatte, dies aber trotzdem nicht bedeutete, dass Maja auf seiner Seite war. Der Schneeanzug. Wie hatten Henrik und Björn eigentlich den Overall in ihre Finger bekommen?
    Das war die letzte Möglichkeit. Er balancierte auf dem Rand eines Abgrunds, und nur eine federleichte Berührung, die richtige Berührung konnte ihn noch retten. Kam sie nicht, gab es nur noch den Sturz und anschließend die Finsternis.
    Komm. Berühre mich.
    In seinem Körper gab es einen Hohlraum, der viel größer war als der Körper. Ein Sommerwind vom Meer fächelte Luft heran in diesem Raum und trug ein einziges Löwenzahnschirmchen, das in den Luftströmen umhergewirbelt wurde, bis es schließlich auf der Innenseite seiner Haut landete. Es kitzelte kurz und bettete sich zur Ruhe. So fühlte es sich an. Aber er wusste.
    Du bist hier.
    Nach der ersten mikroskopischen Berührung wurde die Anwesenheit stärker. Was im Wasser enthalten gewesen war, verbreitete sich in seinem Blut, in den Muskeln, und das Kitzeln wurde zu einer sanften Liebkosung und einer größeren Gegenwart, als hätte das Flugschirmchen tatsächlich Samenkörner getragen, die nun in seinem Fleisch Wurzeln geschlagen hatten und kleine Löwenzahnsonnen erblühen ließen. Er konnte sie nicht sehen, aber hinter dem Horizont erhellten sie seine Welt, und ihm stiegen Tränen in die Augen.
    Hallo, Liebling. Entschuldige, dass ich … entschuldige. Alles.
    Aus Schränken und Schubladen suchte er alle Flaschen heraus, die er finden konnte, und füllte sie unter dem Küchenhahn. Es kamen gut zehn Liter Wasser in größeren und kleineren Flaschen zusammen, die er in zwei Plastiktüten verstaute. Auch die Flasche mit Wermut fand Platz.
    Schließlich holte er einige Tino-Tatz-Comics aus dem Schlafzimmer und steckte die Fotografien von Gåvasten in seine Tasche. Anschließend trat er ins Freie. Noch auf dem Weg zu Anna-Gretas Haus holte er eine Wasserflasche heraus und trank ein paar Schlucke.
    Das frisch vermählte Paar saß in der Küche und hatte die Festtagskleidung abgelegt. Alles war wie immer, und alles war anders. Neue Bünde waren geschlossen worden, ohne dass oberflächlich davon etwas zu merken gewesen wäre. Als Simon die Plastiktüten sah, fragte er: »Ist das … Wasser?«
    »Ja.«
    »Darf ich mir mal eine Flasche ansehen?«
    Anders hob eine Flasche heraus und

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