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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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glitten die letzten Meter zum Ufer. Simon stieg aus, und die Gäste zogen mit vereinten Kräften das Boot sicher aufs Land.
    Simons Blick suchte Anders, und er wollte offensichtlich etwas sagen, aber die Gäste griffen ihm unter die Arme und zogen ihn zur Kirche, wo Anna-Greta auf dem Kirchplatz stand und Simon mit vor der Brust verschränkten Armen erwartete. Der Auftritt hatte sicher einen tollen Effekt, aber man musste Verständnis dafür haben, dass Anna-Greta sich für diesen besonderen Tag etwas weniger Spektakel und etwas mehr Feierlichkeit gewünscht hätte.
    Anders hielt sich zwei Schritte hinter den anderen und wartete, bis alle in die Kirche verschwunden waren, ehe er eintrat und sich in eine der hinteren Bänke setzte.
    Lass die Liebe kommen
    Die Schilderung der Hochzeit entfällt.
    Seltsamerweise sind Hochzeitsschilderungen nämlich nicht besonders interessant. Zwei Menschen, die sich vor dem Antlitz Gottes ewige Verbundenheit und Treue schwören, sollten doch wirklich etwas sein, woran man sich ergötzen kann; aber so ist es nicht.
    Es ist wie eine Gruselgeschichte, nur umgekehrt. Wenn das Monster am Ende seine Fänge zeigt, ist das immer enttäuschend. Es kann niemals unsere Erwartungen erfüllen. Gleiches gilt für eine Hochzeit. Der Weg zu ihr auf den verschlungenen Pfaden der Liebe ist ein Straßenfeger, die Vorbereitungen sind in manchen Fällen ein hartes Stück Arbeit, und der Grundgedanke hinter dem Ganzen ist schön und schwindelerregend.
    Aber das Ritual?
    Man müsste schon Marc Chagall, Mozart und die Techniker hinter den Kulissen von David Copperfield aufbieten, um dem Gedanken gerecht zu werden. Menschen würden schweben, es würde Blitze, Wasserfälle und eine Symphonie geben, die den Putz von den Wänden fallen und in Brocken um die ehelich Vereinigten wirbeln lassen würde, die in einer Spiralbewegung zur Decke abhöben.
    Dergleichen ereignete sich in der Kirche von Nåten nicht.
    Es reicht vollkommen aus zu sagen, dass Simon und Anna-Greta sich das Jawort gaben, dass auf der Orgel die passende Musik gespielt wurde und viele gerührt waren. Immerhin geschah etwas Schönes. Anna-Greta war eine strahlende Erscheinung und Simon eine etwas abgetakelte. Obwohl er noch rechtzeitig die Hochzeitskleider angezogen hatte, schien dies doch in Windeseile passiert zu sein. Der Schlips saß schief, die Strümpfe passten nicht zur Hose, und seine Haare waren zerzaust.
    Trotzdem Jubel und Trubel! Lasst die Liebe kommen! Lasst sie siegen!
    Lasst die beiden auf die Kirchentreppe hinaustreten und lasst Anna-Gretas Freundinnen, die wissen, wie man solche Dinge anpackt, sie mit Reis überschütten, und lasst uns hinter allem die En gelschöre hören und die Kaskaden aus Entendaunen sehen, die in Monaten auf den Inseln eingesammelt wurden, lasst Apfelblüten aus dem Himmel fallen, gestreut von den Händen Gottvaters, der sie aufs Wärmste in seine Arme schließt.
    Ja!
    Ja, ja, ja!
    Und lasst uns anschließend zum Gemeindeheim gehen und uns der Sandwichtorte annehmen. Dieser Tag ist noch nicht vorbei. Noch lange nicht. Kommt.
    Das Wasser
    Die Leute verteilten sich auf die Tische, und zu Anders’ Erleichterung zog Anna-Greta ihn am Ärmel, sodass er neben ihr landete und niemand auf seiner anderen Seite saß. Ihnen gegenüber saßen die beiden Freundinnen Anna-Gretas, und nachdem Anna-Greta ihm die Frauen als Gerda und Lisa vorgestellt hatte, waren die beiden Damen mit sich selbst beschäftigt.
    Die Gäste füllten ihre Teller und nahmen sich Bier- oder Limonadenflaschen, die sie selbst öffnen mussten. Es war weiß Gott keine pompöse Veranstaltung, und es war fast schon ein Glück, dass Simons Auftritt sie zu etwas Erinnerungswürdigem gemacht hatte.
    Doch Simon hatte noch mehr in der Hinterhand.
    Nachdem Anders seiner Großmutter gratuliert und nochmals betont hatte, wie schön sie war, lehnte er sich vor, um auch Simon zu gratulieren, aber dessen Aufmerksamkeit war auf etwas in seinem Inneren gerichtet. Mit konzentrierter Miene stierte er auf die Tischdecke herab, während sich seine Lippen schwach bewegten.
    Anders wollte gerade etwas sagen, um ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen, als Simon plötzlich aufstand und mit der Gabel klirrend gegen die Flasche seiner Tischnachbarin schlug.
    »Liebe Freunde!«, sagte er. »Es gibt gewisse Dinge, die …« Er hielt inne und warf Anna-Greta einen Blick zu, die ihn fragend ansah. Simon räusperte sich und setzte ein zweites Mal an. »Als Erstes möchte ich

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