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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Trinkwasser.
    Trotz seiner Empfindung, dass Maja durch seinen Körper floss, war ihm nie der Gedanke gekommen, dass es sich buchstäblich so verhielt. Er hatte sich Wein aus Plastikflaschen hinter die Binde gekippt, manchmal mehrere Liter pro Tag. Wein, der mit Wasser aus dem Hahn verdünnt gewesen war. Er war mit einem Kater und durstig aufgewacht, hatte große Mengen Wasser getrunken, Wasser.
    Aber es war etwas anderes, das ihn wirklich fast vom Stuhl rutschen ließ, während er immer tiefer in der Musik versank: Maja hatte ihn ganz und gar nicht verlassen. Er hatte nur kein Wasser zu sich genommen. Den ganzen gestrigen Tag hatte er nichts als Wein und Wermutkonzentrat getrunken. Erst als er zu Anna-Greta gekommen war, hatte er Flüssigkeit in Form von Wasser zu sich genommen. Und ihr Wasser war nicht … verseucht.
    Anders spürte eine Hand auf seinem Rücken, Simon beugte sich zu ihm herab. »Begreifst du?«, flüsterte er.
    Anders nickte geistesabwesend, während die Musik der Zusammenhänge in seinem Kopf donnerte. Das ewige Meer, immer gleich, das in alle Ritzen eindringen konnte, sich ausbreitete und ausstreckte, aber immer zu sich selbst zurückkehrte. Ein einziger großer Körper mit Milliarden Gliedern, von brüllenden Wellen bis spindeldürren Rinnsalen, die den Weg hinein fanden, sich einen Weg suchten. Das Meer. Und alle, die dort waren.
    Simon zog an ihm, und Anders stand auf und folgte ihm wie in Trance.
    Keiner hat so lange Finger.
    Er sah das Tasten des Meers auf den flachen Felsen der Inseln vor sich, durch Klüfte im Felsgrund, in die Erde hinab, in die Brunnen, und es war wie ein Mantra, das durch seinen Kopf lief, während Simon ihn hinausführte: Keiner hat so lange Finger. Keiner hat so lange Finger.
    »Anders, bist du da?«
    Simon wedelte mit der Hand vor seinen Augen, und es gelang Anders mit etwas Mühe zurückzukehren. Er stellte fest, dass er auf der Eingangstreppe zum Gemeindeheim stand. Seine rechte Hand ruhte auf dem kalten Eisengeländer, und er umklammerte es fest, hielt sich an seinem Platz.
    »Wie hast du es herausgefunden?«, fragte er.
    »Als ich für Göran nach Wasser gesucht habe«, antwortete Simon, »habe ich die ganzen Adern mit brackigem Wassers gespürt, die durch den Fels laufen …«
    »Gespürt?«
    »Ja.« Simon zog die Streichholzschachtel aus der Tasche, zeigte sie kurz und steckte sie wieder weg. Anders nickte. An diesen Teil der Geschichte erinnerte er sich sogar.
    »Da ist mir der Gedanke gekommen«, fuhr Simon fort, »wie es mit deinem Wasser ist und vor allem mit Elins. Nach dem Feuer war ich an ihrem Brunnen, irgendetwas zog mich dorthin, da war etwas. Ich verstand es damals nicht, aber ich habe das Wasser probiert, und es war salzig. Salziger als deins. Seither hatte ich das im Hinterkopf und … heute habe ich es gesehen.« Simon seufzte und schielte zur geschlossenen Tür des Gemeindeheims hinüber. »Obwohl ich nicht den Eindruck habe, dass ich irgendwen überzeugen konnte.«
    »Warum bist du so spät gekommen?«
    Simon zuckte mit den Schultern. »Ich musste mich doch vergewissern. Karl-Eriks Brunnen und Bergwalls Brunnen. Es war bei beiden das Gleiche. Salz im Wasser. Als sie sägten, haben sie bestimmt Wasserflaschen dabeigehabt und aus ihnen getrunken. Ich glaube, dass es eine Art kritischen Punkt gibt, und dann … bricht er aus. Der andere Mensch.«
    Anders legte die Arme auf das Geländer und blickte zum Hafen hinunter. Es dauerte noch eine Stunde, bis das nächste Zubringerboot übers Meer fuhr. Bis ihm erlaubt wurde, übers Meer zu fahren.
    Keiner hat so lange Finger. Keiner hat so starke Finger.
    Unvermutet tauchte eine Erinnerung auf. Er war vielleicht zehn Jahre alt gewesen, als sein Vater zum Spaß eine Reuse ausgelegt und einen Aal gefangen hatte. Anders hatte auf dem Bootssteg gestanden und zugesehen, als sein Vater den Aal zu packen versuchte, um ihn aus dem Boot zu nehmen. Es wollte nicht klappen.
    Am Ende war es seinem Vater gelungen, den Aal in eine Plastiktüte zu scheuchen. Er schlängelte sich wieder heraus. Sein Vater stopfte den Aal in die Tüte zurück und hielt die Öffnung mit beiden Händen zu, während er mit großer Mühe aus dem Boot stieg. Als er auf den Steg kam, blieb er stehen, starrte die Tüte an und lachte auf. Obwohl er kräftige Hände hatte und mit aller Kraft zuhielt, gelang es dem Aal trotz allem, sich vom Boden der Tüte abzudrücken und sich langsam und beharrlich durch die geballten Fäuste aus der Tüte zu

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