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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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so kleine Bewegung des Kaffeewassers durch seinen Körper. Als er die Tasse geleert hatte, holte er einen Plastikeimer aus dem Putzschrank und füllte ihn zur Hälfte mit Wasser aus dem Küchenhahn. Er setzte sich mit dem Eimer zwischen den Schenkeln auf einen Stuhl, nahm die Streichholzschachtel in die Hand und tauchte die Fingerspitzen der anderen ins Wasser.
    Er wusste es einfach.
    Als hätte die Hand im Wasser eine Fernbedienung gehalten oder wäre vielmehr zu einer Fernbedienung geworden , mit der er so vertraut war, dass er nicht mehr auf die einzelnen Tasten schauen musste, konnte er das Wasser jetzt lenken. Seine Hand existierte nicht, die Signale gingen direkt von seinem Gehirn in die Kontaktfläche.
    Er bat das Wasser, sich im Uhrzeigersinn und danach gegen den Uhrzeigersinn zu bewegen. Er bat es, hochzuklettern und über den Rand zu fließen, sodass sein Hosenbein nass wurde. Anschließend stellte er den Eimer ab, legte die Hand auf den feuchten Stoff und bat das Wasser, ihn zu verlassen. Ein Dampfhauch stieg zu seinem Gesicht auf.
    Ich kann es.
    Als er den Eimer ausgeschüttet und die Streichholzschachtel in die Tasche gesteckt hatte, ging er zu den Eckchen und holte die Schrotflinte. Er blieb eine Weile stehen, wog das Gewehr in den Händen und fragte sich, ob es ihm irgendwie nützen konnte. Das metallische Gewicht und das polierte Holz hatten etwas Beruhigendes, es war eine Waffe.
    Aber er brauchte keine Waffe, jedenfalls nicht so eine. Er öffnete die Flinte, holte die Patronen heraus, legte sie in die Schublade zurück, in der er sie gefunden hatte, und rieb sich die Hände. Er war sauber.
    Im Flur stand ein Paar von Simons häufig getragenen Stiefeln aus dem Überschusslager des Militärs. Sie waren Anders nur ein klein wenig zu groß. Er zog sie an, holte Majas Schneeanzug aus der Küche und ging hinaus.
    Ganz gleich, welche Art von Wesen Henrik und Björn heute waren und woraus sie bestehen mochten, eins stand jedenfalls fest: Das Lastenmoped war ein ganz normales Lastenmoped. Es hatte Gewicht und Härte, konnte beschädigt und zerstört werden. Und es stand irgendwo.
    Als Anders auf den Dorfweg gelangte, merkte er, wie kalt es war. Die Luft war rau, und die Temperatur lag um den Gefrierpunkt. Er schlang sich Majas Schneeanzug um den Hals und stopfte, was übrig blieb, an seiner Brust unter den Pullover, um sich warm zu halten.
    Er schaute sich um. Zu seiner Rechten lag die Jugendherberge, zu seiner Linken der Pfad zu den Bootsstegen. Nein, sicher nicht.
    Irgendwo, wo keiner herumläuft.
    Der Westteil der Insel war praktisch unbebaut, nur wenige, erst kürzlich errichtete Häuser standen auf der Seite, die dem Festland zugewandt war. Er musste daran denken, dass er diesen Weg seit seiner Kindheit eigentlich nie mehr gegangen war. Damals hatten er und die anderen aus seiner Clique ein paar Expeditionen ins Unbekannte unternommen, aber der westliche Teil der Insel gehörte einfach nicht zu ihrer Welt, da niemand, den sie kannten, dort wohnte.
    Anders vergrub die Hände in den Hosentaschen und wurde von der Wasserwahrnehmung gepackt, als seine Hand die Streichholzschachtel berührte. Daraufhin schob er die Hände stattdessen in die Gesäßtaschen. Das war zwar nicht die bequemste Art zu gehen, aber dieses erhöhte Bewusstsein hielt er immer nur für kurze Zeit aus. Es war ohnehin da, weil die Schachtel seinem Körper so nahe war.
    Er kam an Bergwalls Haus vorbei und blieb stehen. Aus dem Inneren drang kein Lebenszeichen, vielleicht war die Familie aufs Festland verlegt worden. Der Wasserhahn an der Schmalseite des Hauses glänzte.
    Wer da?
    Bergwalls Haus lag auf einer kleinen Anhöhe und hatte Aussicht aufs Meer. Aber es waren hundert Meter oder mehr bis zum Ufer. Anders zündete sich eine Zigarette an und horchte in sich hinein. Er sah das Wasser im Felsgrund nicht, aber es musste dort sein und sich mit seinen langen Fingern einen Weg gesucht haben, bis es aus glänzenden Hähnen lugen und in die Menschen eindringen konnte.
    Er schlug Wege ein, auf denen sonst selten jemand ging, er fand einige der überwucherten Fundamente dessen, was einmal das westliche Dorf gewesen sein musste. Schließlich erreichte er die Felsen und schaute nach Nåten hinüber, das im Nebel über dem Meer kaum zu erkennen war. Er ging in den Tannenwald, setzte anschließend seinen Weg über nicht bewirtschaftete Äcker hinweg fort. Als er eine alte Scheune fand, die schiefer war als sein Haus und deren Dach nach und nach

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