Menschenhafen
Gedanken, dass du hier … schutzlos bist.«
»Hast du nicht gesagt, dass eine Art Pakt dazugehört?«
Simon holte die Streichholzschachtel aus der Tasche seines Bademantels. »Doch. Und ich weiß nicht, worin die Bedeutung dieses Pakts besteht. Aber ich glaube, dass etwas ziemlich Schreckliches passiert, wenn man stirbt.«
»Und das Ding willst du mir geben.«
Simon drehte die Schachtel zwischen den Fingern. Aus ihrem Inneren hörte man leises Scharren und Kratzen, als die Larve ihre Position veränderte.
»Ich habe mich gefürchtet. Man schließt eine Form von Pakt mit dem Tiefen und Dunklen in der Welt. Ich habe bereut, dass ich mich darauf eingelassen habe. Aber ich konnte es nicht lassen. Ich war gelinde gesagt dumm.«
Simon fingerte an dem ungewohnten Trauring herum und fuhr fort: »Aber ich würde dir das nicht vorschlagen, wenn ich nicht fest davon überzeugt wäre, dass es dir helfen kann. Was hinter dir her ist, hat mit Wasser zu tun, und dieses Lebewesen hier … kann Wasser zähmen.«
Anders betrachtete die Schachtel in Simons Hand, ließ den Blick über den grünen Frotteestoff des Bademantels gleiten und hielt inne bei Simons Gesicht, das plötzlich unglaublich alt und müde aussah. Die Hand, mit der er die Schachtel hielt, berührte fast den Boden, als würde das Insekt das Hundertfache von dem wiegen, was seine Größe vermuten ließ.
»Was soll ich tun?«, fragte Anders.
Simon zog die Hand mit der Schachtel an sich und schüttelte den Kopf. »Weißt du, worauf du dich einlässt?«
»Nein«, erwiderte Anders. »Aber das spielt keine Rolle. Das spielt wirklich keine Rolle. Nicht die geringste.«
Jetzt, da Simon seinen Willen bekommen hatte, schien er seinen Vorschlag plötzlich zu bereuen.
Vielleicht wollte er Anders doch nicht dem Pakt aussetzen. Vielleicht wollte er sich auch nicht von seinem magischen We sen trennen. Gedankenverloren rieb er mit dem Daumen über den Sonnenjungen auf der Schachtel.
»Du musst in die Schachtel spucken«, erklärte er schließlich. »Du musst ihm Speichel geben. Das wirst du jeden Tag tun, solange du lebst. Oder bis du ihn … weitergibst.«
Anders sammelte Speichel in der Mundhöhle. Nach einer Weile nickte er Simon zu, nahm ihm die Schachtel aus der Hand und schob sie auf. Anders ließ die Spucke zwischen den Lippen herauslaufen, den Mund verlassen und …
»Nein, warte!«, sagte Simon. »Wir vergessen …«
Aber es war schon zu spät. Das tränenförmige, Blasen werfende Klümpchen hatte Anders’ Mund bereits verlassen und fiel geradewegs auf die lederartige Haut des Insekts herab, als Simon die Hand ausstreckte.
Anders hatte geglaubt, nichts in der Welt könne grauenvoller schmecken als das Wermutkonzentrat. Er hatte sich getäuscht. Das, was nun in seinen Mund eindrang und sich in seinem Körper ausbreitete, hatte eine unkörperliche Dimension, der ein Geschmack niemals entsprechen konnte. Als hätte er in ein Stück verwestes Fleisch gebissen und wäre im gleichen Moment zu diesem Fleischstück geworden.
Trocken würgend öffnete und schloss er den Mund, und sein Körper erbebte in kleinen Krämpfen, sodass ihm die Schachtel entglitt. Simon saß auf dem Bett und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, während Anders zur Seite fiel und sich den Bauch hielt. Er spuckte und spuckte, aber es kam nichts heraus.
Die Schachtel lag zwanzig Zentimeter vor seinen Augen. Ein schwarzer Knopf lugte über ihren Rand, und unmittelbar darauf hatte die ganze Larve sie verlassen. Sie war gewachsen. Ihre Haut glänzte, und ihr Körper bewegte sich geschmeidig über den Fußboden auf Anders’ Lippen zu. Sie wollte mehr von diesem Manna haben, aus dieser Quelle.
Trotz seiner Übelkeit gelang es Anders, sich aufzusetzen und auf die Art zu verhindern, dass sich das Insekt in seinen Mund bewegte. Mit zitternden Händen legte er die Schachtel über die Larve und schob sie zu, ohne das Insekt zu verletzen.
Es herrschte reges Leben und Schaben in der Schachtel, sodass sie sich ruckend und hüpfend über den Fußboden bewegte. Anders schluckte eine ekelerregende Blase im Hals herab und fragte: »Ist es wütend?«
»Nein«, sagte Simon. »Im Gegenteil, glaube ich.«
Er sah Anders lange in die Augen. Es geschah etwas zwischen ihnen, und Anders nickte.
Bevor er hinausging, sagte Simon: »Pass gut auf dich auf.« Er zeigte auf Anders, auf die Streichholzschachtel. »Das mit dem Geschmack passiert nur beim ersten Mal.«
Anders blieb auf dem Fußboden sitzen und
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