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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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zu ihm hinein, und eine verschüchterte kleine Freude machte einen Satz.
    »Erinnerst du dich an dieses Lied, das sie auf der Beerdigung meines Vaters gesungen haben?«, fragte er. »Solang der Kahn noch fährt, so lang das Herz noch schlägt, so lang die Sonne noch glitzert, auf den Wellen so blau?«
    »Ja, aber …«
    »Es ist so. Genau so. Es hört nicht auf. Es ist alles noch da.«
    Cecilia seufzte erneut, und er sah sie vor seinem inneren Auge bedächtig den Kopf schütteln.
    »Was sagst du denn da, Lieb…«
    Cecilia schluckte das letzte Wort herab. Aus alter Gewohnheit hätte sie den Satz beinahe mit »Liebling« beendet. So wie sie früher miteinander gesprochen hatten. Sie räusperte sich und sagte kontrolliert. »Ich glaube nicht, dass wir weiterreden sollten.«
    »Nein«, erwiderte Anders. »Das sollten wir vermutlich nicht. Aber mach’s gut. Kann sein, dass ich nicht mehr anrufe.«
    »Warum sagst du das?«
    »Willst du denn, dass ich wieder anrufe?«
    »Nein. Oder … aber warum sagst du das?«
    »Für den Fall der Fälle.« Anders schluckte einen Kloß herab, der in seinem Hals anschwoll, sagte schnell: »Ich liebe dich«, und legte auf. Lange blieb er mit der Hand auf dem Hörer sitzen, als wollte er das Telefon daran hindern, zu vibrieren oder zu klingeln.
    Bis er es aussprach, hatte er es nicht gewusst. Vielleicht stimmte es auch gar nicht. Aber als er ihre Stimme gehört hatte, ihre freundlichere Stimme minutenlang im Ohr gehabt hatte, war es über ihn gekommen. Vielleicht war es nur die Sehnsucht nach einem anderen Menschen oder eine aus schöneren Erinnerungen entsprungene Nostalgie gewesen, vielleicht idealisierte er sie, seit er sie nicht mehr sah, vielleicht war es nicht wahr.
    Aber Liebe?
    Wer konnte schon sagen, was ein Gewirr aus dunklen Bedürfnissen und Wünschen und was echte Liebe war? Gab es sie überhaupt? Wenn man zu einem anderen Menschen »Ich liebe dich« sagen konnte und dabei wusste, dass man es auch meinte, war es dann nicht unabhängig vom Motiv tatsächlich Liebe?
    Ob nun mit oder ohne Maja, er liebte diesen Menschen, der viele Kilometer entfernt am anderen Ende der Leitung saß. Woran es lag, was sich verändert hatte, wusste er nicht. Aber es war so.
    Die Förde lag jetzt fast im Dunkeln, und als Anders sich mit den Ellbogen auf die Fensterbank stützte, sah er Gåvastens Licht wie eine Straße aus Gold auf dem Wasser aufflammen, fünf Sekunden verschwinden, dann zurückkehren und wieder verschwinden.
    Wo die Straßen mit Gold gepflastert sind.
    Er blinzelte zweimal und schüttelte anschließend den Kopf über seine eigene Dummheit. Warum sollte das Moped eigentlich auf Domarö stehen, nur weil sie dort immer durch die Ge gend fuhren? Es konnte überall stehen, auf irgendeiner Insel, das sollte er nun wirklich wissen. Das Meer war ihre Straße.
    Das Meer ist so groß, das Meer ist so groß …
    Aber sie konnten sicher nicht beliebig durch die Gegend fahren, denn dann hätte sie längst jemand gesehen. Das Moped musste irgendwo in der Nähe und an einem Ort sein, an dem keine Menschen waren …
    Anders ging in die Küche, holte die Stablampe und überprüfte, dass Batterien eingelegt waren. Anschließend zog er Simons Jacke über seinen Helly-Hansen-Pullover, stopfte den Schneeanzug hinein, zog den Reißverschluss zu, sodass er schwanger aussah, und steckte Spiritus in die Jackentasche.
    Als er aus der Haustür trat, war es im Freien nicht ganz so dunkel, wie es von innen ausgesehen hatte, aber in einer guten halben Stunde würde es Nacht sein. Er eilte zum Steg hinunter und drückte die Daumen, dass Göran wie versprochen Simons Boot nach Hause gefahren hatte.
    Das hatte er. Das elende Plastikboot, das in den letzten Tagen in so vieles verwickelt gewesen war, lag vertäut und rieb sich leicht am Steg, und Anders ging an Bord, machte die Leinen los und ließ den Motor an.
    Es erschien perfekt, fast zu perfekt, und er wusste nicht, ob Henrik und Björn den rechten Sinn für solche Zusammenhänge hatten, nahm es aber an. Man konnte Morrissey und The Smiths nicht vergöttern, ohne eine Sehnsucht zurück zu den Anfängen zu nähren, zu den Orten, an denen im Guten wie im Bösen alles begann.
    Anders wendete das Boot halb, gab Gas und schoss mit Kurs auf Kattholmen los.
    Zurück zum alten Haus
    Wie langhalsige, durstige Dinosaurier lagen die vom Sturm gefällten Bäume bis ins Uferwasser verstreut. Man hatte eine all gemeine Amnestie ausgerufen. Wenn sich im Winter eine

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