Menschenhafen
einstürzte, glaubte er, die richtige Stelle gefunden zu haben, aber in der Scheune gab es nichts als morsches Holz, verrostetes Werkzeug und einige Stapel Dachpfannen für ein Dach, das niemals gedeckt worden war. Anders setzte sich auf einen Stapel und atmete durch.
Wo seid ihr? Wo zum Teufel seid ihr?
Sein Plan war einfach. Wenn er das Moped fand, würde er auch Henrik und Björn finden. Er würde auf sie warten, und wenn sie kamen, würde er … an diesem Punkt endete sein Plan. Aber er hatte Spiritus und würde sich irgendetwas einfallen lassen.
Nach seiner stundenlangen Suche war er erschöpft und hungrig. Wenn er weitermachen wollte, musste er heimgehen und etwas essen.
Als er wieder auf die Dorfstraße kam, überlegte er, in sein eigenes Haus zu gehen und dort zu warten. Es war immerhin denkbar, dass sie ihn ein weiteres Mal aufsuchten. Ja, so würde er es machen. Er würde die Nacht in seinem Haus verbringen und auf die beiden warten, komme, was da wolle.
Weil es im Haus seiner Großmutter mehr Essbares gab, ging er zunächst dorthin und machte sich ein paar Brote mit Roastbeef, die er aß, während er aufs Meer hinaussah. Die Dämmerung würde bald einsetzen, und er wartete darauf, dass Gåvastens Leuchtturm ansprang.
Er trank ein paar Schlucke von dem, was er in Gedanken mittlerweile Majawasser nannte, und strich geistesabwesend über die Wählscheibe des Telefons. Anna-Greta war nie auf die Idee gekommen, sich ein Tastentelefon anzuschaffen, obwohl dies alle Kontakte mit computerisierten Behörden erleichtert hätte.
Noch ehe er das Wieso und Weshalb überdacht hatte, wählte er auch schon Cecilias Nummer. Weil es Spaß machte, ein Telefon mit einer Wählscheibe zu bedienen, und ihm keine andere Nummer einfiel, die er wählen konnte.
Er glaubte nicht, dass Cecilia zu Hause sein würde, und während es läutete, begann eine große Einsamkeit in seinen Ohren zu klingeln. Er fühlte sich so furchtbar und unwiderruflich allein . Es war weder die panische Angst noch das Grauen, die ihn beide so viele Male übermannt hatten, nein, es war eine große Trauer und das allgegenwärtige Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein.
»Hallo, hier spricht Cecilia.«
Anders holte tief Luft und verdrängte die Trauer, so gut es ging, aber seine Stimme war dennoch kläglich, als er sagte: »Hallo, ich bin es nur. Mal wieder.«
Die übliche Pause, in der Cecilia von jemandem, der ein nettes Gespräch erwartete, zu einem Menschen wurde, der ein unangenehmes Telefonat abwickeln musste.
»Du sollst mich doch nicht anrufen, Anders.«
»Nein, das sollte ich wahrscheinlich nicht. Immerhin bin ich nüchtern.«
»Das ist schön.«
»Ja.«
Es wurde still zwischen ihnen, und Anders schaute zu seinem Haus hinunter, das ihn in der einsetzenden Dämmerung erwartete.
»Erinnerst du dich an damals, als du mich auf deinem Fahrrad mitgenommen hast? Als ich dir ein Eis spendiert habe?«
Cecilia seufzte ausgiebig. Als sie antwortete, war ihre Stimme trotzdem eine Spur weniger abweisend als bei früheren Gesprächen. Er war, wie gesagt, wenigstens nüchtern.
»Ja«, sagte sie. »Das tue ich.«
»Ich auch. Was machst du?«
»Jetzt?«
»Ja.«
»Ich hab was geschlafen.« Sie zögerte, ehe sie etwas privater hinzufügte: »Ich hab eigentlich sonst nichts vor.«
Anders nickte, schaute aufs Meer hinaus und warf genau im richtigen Moment einen Blick auf Gåvasten, um das erste Lichtsignal aufblitzen zu sehen.
»Geht es dir gut?«, fragte er.
»So gut wie nie. Und dir?«
»Nein. Wie ist das mit dem Typen, den du kennengelernt hast?«
»Darüber will ich nicht sprechen. Und du?«
»Was?«
»Was tust du?«
Es blinkte einmal, zweimal, dreimal. Es war noch viel zu hell, als dass die Signale eine Straße auf dem Meer bilden würden. Viermal.
»Ich suche nach Maja«, sagte er.
Cecilia blieb stumm. Es klackte in Anders’ Ohr, als sie den Hörer weglegte. Er wartete. Kurz darauf hörte er von fern, dass sie weinte.
»Cilia?«, sagte er, und dann lauter: »Cilia?«
Sie nahm den Hörer wieder in die Hand, und ihre Stimme war belegt. »Wie … wie kannst du das tun?«
»Ich tue es, weil ich glaube, dass ich sie finden kann.«
»Das kannst du nicht, Anders.«
Er hatte nicht die Absicht, ihr jetzt alles zu erklären, denn das würde Stunden dauern, und sie würde ihm ohnehin nicht glauben. Es blinkte einmal, zweimal. Es geschah etwas. Er fand plötzlich, dass das Blinken des Leuchtturms warm war. Gut. Ein Licht fand den Weg
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