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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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etwa zwanzig.
    Während er noch vorgebeugt auf dem Stuhl saß, hörte er von draußen ein Klatschen. Es klang anders als die Schläge des Wassers gegen Simons Boot, und er erstarrte. Unmittelbar darauf hörte er Henriks Stimme.
    »Komm heute Nacht nicht zum Haus«, rief er. »Denn dort gibt es jemanden, der dir eine Axt ins Ohr treiben will!«
    Anders richtete sich langsam auf und ließ die Karte fallen, die er in der Hand hielt. Es war die Karo fünf. Er stierte auf die rhombenförmigen Symbole und fand keinen Sinn, nichts, was sich deuten ließ. Er stand vom Tisch auf, rückte Majas Schneeanzug zurecht, sodass er wie eine Schärpe um seinen Bauch lag, und ging zur Tür.
    Henrik und Björn standen am Fuß der Treppe. Die lächerlich lange Messerklinge ragte aus Henriks erhobener Hand.
    »Ich würde lieber nicht zum alten Haus zurückkehren«, sagte Björn. »Dort gibt es zu viele schlechte Erinnerungen.«
    Anders setzte sich auf die oberste Treppenstufe und sah sie an. Sie hatten sich seit damals trotz allem doch nicht sonderlich verändert. Der Ort, an dem sie sich befanden, ließ ihn die beiden durch einen Filter aus Erinnerungen wahrnehmen, sodass er keine rachelüsternen Gespenster mehr sah, sondern zwei erbarmungswürdige Jungen, die nur einander hatten. Außerdem kannte er das Lied und erwiderte: »Das Traurigste, was ich je mals sah. Und ihr wusstet niemals, wie sehr ich euch eigentlich mochte. Denn ich sagte es euch nie. Aber ich wollte es tun.«
    Henrik senkte das Messer, und der höhnische Blick verschwand aus seinen Augen. Anders machte eine Geste in ihre Richtung und sagte: »Ich hab euch damals die Kassette gegeben, erinnert ihr euch?«
    Björn nickte. »Diese alkoholschwangeren Nachmittage …« setzte er an, aber Henrik brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Was willst du?«, fragte er.
    Anders strich sich über den Bauch, über den Schneeanzug. »Ich will meine Tochter wiederhaben. Und ich glaube, dass ihr den Schlüssel besitzt.«
    Das schiefe Lächeln kehrte auf Henriks Lippen zurück. »Den Schlüssel?«
    »Ihr könnt mir helfen.«
    Henrik und Björn sahen sich an. Das Messer pendelte in Henriks Hand. Anders konnte nicht erkennen, welchen stillschweigenden Entschluss die beiden gefasst hatten, als sie sich unter ihm nebeneinander auf die Treppenstufe setzten. Weil es vorhin gewirkt hatte, übersetzte Anders in Windeseile und sagte: »Bitte, bitte, bitte, lasst mich bekommen, was ich will. Weiß Gott, es wär das erste Mal.«
    Es war wie ein Spiel auf einem verminten Gelände. Henriks Gesicht entspannte sich ein zweites Mal. Sie kauerten alle drei dicht gedrängt zusammen auf der Treppe und unterhielten sich in Smiths-Zitaten. Es hätte normal sein können, es hätte vertraulich sein können. Doch Anders wusste nicht, ob es das war.
    Dicht gedrängt zusammen …
    Er versuchte sich im Gesicht nichts anmerken zu lassen, als ihm ein eiskalter Angstschauer durch die Brust lief und seinen Bauch mit Furcht füllte. Sein Eifer hatte ihn verleitet, einen gelinde gesagt entscheidenden Teil seines Plans zu vernachlässigen. Er hatte keinen Wermut getrunken. Nicht an diesem Tag, nicht am Vortag. Und die beiden wussten es. Sonst würden sie niemals so nahe bei ihm sitzen.
    Björn sah Henrik an, als wartete er darauf, was dieser als Nächstes sagen würde. Henrik schwieg und musterte einen Punkt direkt unter Anders’ Kinn. Dann hob er das Messer und bewegte es langsam auf sein Gesicht zu. Anders schreckte zehn Zentimeter zurück.
    Der Wermut. Wie konnte ich nur …
    »Warte«, sagte Henrik. »Warte.« Es zuckte in seinen Mundwinkeln. »Leg dich hin und warte.«
    Anders rührte sich nicht und versuchte eine freundlich interessierte Miene aufzusetzen, als Henrik die Klinge des Messers auf die linke Seite seines Halses legte. Er sah Henrik in die Augen, konnte wegen der dünnen, gelatineartigen Schicht auf Iris und Pupille jedoch nichts in ihnen lesen. Das kalte Metall ruhte wenige Zentimeter unter dem Kinn auf Anders’ Haut, über seiner Halsschlagader.
    »Dein Gesicht kann ich sehen«, sagte Henrik. »Und es ist verzweifelt freundlich. Aber was geht in deinem Kopf vor? «
    Ein finsterer Gefühlspuls ging von Henrik aus, und Anders erkannte, dass er verloren war und vielleicht auch nie die Chance gehabt hatte zu gewinnen. Der Puls wurde als ein Reflex in seinen Körper getragen, als Befehl an seine Muskeln zu fliehen , aber noch ehe er dazu kam, aufzuspringen oder sich zur Seite zu werfen, hatte

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