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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Hang, die Dieselzisterne und die Sturmglocke. Der Duft vom Meer und das eigentümliche Licht des Himmels.
    Er versuchte sich selbst in zwei, fünf oder zehn Jahren zu sehen. Als alten Mann, der den gleichen Weg nahm. Konnte er sich das vorstellen?
    Ja. Das kann ich mir vorstellen .
    Als sie den Weg entlanggingen, drückte Simon die Daumen, dass es dieses Haus sein würde. Das weiße mit einer kleinen, verglasten Veranda zu einer Grasböschung hin, die zum Bootssteg hinunterführte. An einem grauen Tag wie diesem, ohne Grün in Sicht, machte es nicht viel her, aber er konnte sich vorstellen, wie es hier im Sommer aussehen würde.
    Ein etwa dreizehnjähriger Junge stand, die Hände in den Taschen einer Lederjacke vergraben, auf dem Grundstück. Er war schlank und hatte kurze Haare, und der abschätzende Blick, den er auf Simon warf, hatte etwas Schelmisches.
    »Johan«, sagte Anna-Greta zu dem Jungen, »holst du bitte mal den Schlüssel zur Seehütte?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern und trottete zu einem hundert Meter entfernten, zweistöckigen Haus. Simons Augen wanderten über das gesamte Anwesen, zu dem auch noch ein kleineres Haus auf der anderen Seite der Bucht zu gehören schien. Anna-Greta folgte seinem Blick und sagte: »Das ist Smäcket . Da wohnt im Moment keiner.«
    »Wohnen Sie hier allein?«
    »Johan und ich. Möchten Sie das Grundstück inspizieren?«
    Simon folgte ihrer Aufforderung und drehte ziellos eine Runde. Betrachtete den Brunnendeckel, den Rasen, den Steg. Im Grunde spielte es keine Rolle. Er hatte sich längst entschie den. Als Johan mit dem Schlüssel zurückkehrte und Simon sich das Haus von innen ansehen konnte, verstärkte sich seine Gewissheit noch zusätzlich. Als sie wieder ins Freie hinaustraten, sagte er: »Ich nehme es.«
    Dokumente wurden unterzeichnet, und Simon machte eine Anzahlung. Anna-Greta lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein, da es noch eine gute Stunde dauern würde, bis das Zubringerboot zurückging. Simon erfuhr, dass Anna-Greta den Hof von ihren Schwiegereltern geerbt hatte, die beide ein paar Jahre zuvor gestorben waren. Johan beantwortete höflich seine Fragen, sagte aber nicht mehr als unbedingt nötig.
    Als es allmählich Zeit wurde aufzubrechen, fragte Johan plötzlich: »Was machen Sie beruflich?«
    Anna-Greta sagte: »Johan …«
    »Das ist doch eine ganz natürliche Frage«, erklärte Simon, »wenn ich hier Ihr Nachbar werde. Ich bin Zauberer.«
    Johan sah ihn skeptisch an. »Wie meinen Sie das, Zauberer?
    »Die Leute bezahlen dafür, mich zu sehen, wenn ich Zaubertricks mache.«
    »In echt ?«
    »Ja. In echt. Oder na ja, die Tricks sind natürlich nicht echt, es sind nur …«
    »Das kapier ich schon. Dann sind Sie also ein Illusionist?«
    Simon lächelte. Nur wenige außerhalb der Zaubererszene benutzten diesen Begriff. »Ist ja ein Ding, wie gut du dich auskennst.«
    Darauf erwiderte Johan nichts. Stattdessen saß er da, nickte ein paar Sekunden für sich und platzte dann heraus: »Und ich hab gedacht, Sie wären so ein Langweiler.«
    Anna-Greta schlug mit der Hand auf den Tisch. »Johan! So etwas sagt man nicht!«
    Simon stand vom Tisch auf. »Ich bin so ein Langweiler. Auch .«
    Er begegnete für ein paar Sekunden Johans Blick, und zwischen ihnen geschah etwas. Simon ahnte, dass er soeben einen Freund gefunden hatte. »Jetzt muss ich wohl gehen.«
    Anfang Juli engagierte Simon ihren üblichen Fahrer, der ihn und Marita mit Sack und Pack nach Nåten kutschierte. Marita gefiel das Haus, und Simon konnte aufatmen. Für fünf Tage. Entweder übermannten sie die Entzugserscheinungen, oder es wurde ihr zu einsam, jedenfalls erklärte Marita am Morgen des sechsten Tages, sie müsse nach Stockholm fahren.
    »Wir sind doch gerade erst angekommen«, meinte Simon. »Versuch dich ein bisschen zu entspannen. Ruh dich aus.«
    »Ich hab mich ausgeruht. Es ist wunderbar hier, und ich werde langsam verrückt. Weißt du, was ich gestern Abend getan habe? Ich habe hier draußen gesessen, in den Himmel gestarrt und zu Gott gebetet, dass wenigstens ein Flugzeug vorbeikommt, damit irgendetwas passiert. Ich halte das nicht aus. Ich komme morgen zurück.«
    Sie kam am nächsten Tag nicht zurück und auch am übernächsten nicht. Als sie am dritten Tag zurückkehrte, schleppte sie sich vom Schiffsanleger zum Haus. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, fiel sofort ins Bett und schlief ein.
    Als Simon ihre Reisetasche durchforstete, fand er keine Inhalatoren. Daraufhin wollte er

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