Menschenhafen
wurde das Missionshaus nur noch in Ausnahmefällen genutzt.
Die Vorhänge waren zugezogen, und der Kronleuchter an der Decke, der Stolz des Missionshauses, war nur als ein bleicher Fleck zu erkennen. Simon ging zum Fenster und lauschte. Er konnte Stimmen hören, aber nicht, was gesagt wurde. Er überlegte einen Moment, ging anschließend um die Hausecke und öffnete die Tür.
Dorfrat. Ich gehöre auch zum Dorf .
Der Anblick, der sich ihm nach dem Eintreten bot, war alles andere als aufsehenerregend. Etwa ein Dutzend Menschen im Alter zwischen sechzig und achtzig Jahren saß in einem losen Stuhlkreis unter dem Votivschiff. Er kannte jeden Einzelnen von ihnen. Dort saßen Elof Lundberg und sein Bruder Johan. Dort saßen Margareta Bergwall und Karl-Erik Soundso aus dem südlichen Dorf. Dort saß Holger. Und Anna-Greta. Und andere.
Als er die Tür öffnete, verstummte im gleichen Moment das Gespräch. Alle Gesichter wandten sich ihm zu. Sie sahen weder ertappt noch beschämt aus, aber ihre Mienen stellten klar, dass sein Eindringen nicht erwünscht war. Er sah Anna-Greta an, und auf ihrem Gesicht lag etwas anderes. Eine leichte Qual. Oder ein Flehen.
Geh weg. Bitte.
Simon ließ sich nichts anmerken, betrat vielmehr den Raum und fragte leichthin: »Und was heckt ihr hier aus?«
Blicke wurden gewechselt, und es schien die unausgespro chene Meinung aller zu sein, dass Anna-Greta antworten sollte. Als einige bedrückende Sekunden verstrichen, ohne dass sie das Wort ergriff, sagte Johan Lundberg: »Es gibt da einen Stockholmer, der das Missionshaus kaufen will.«
Simon nickte nachdenklich. »So so. Und was haltet ihr davon?«
»Wir überlegen, es zu verkaufen.«
»Was ist das für ein Stockholmer? Wie heißt er?«
Als er keine Antwort bekam, ging Simon zu der Gruppe, zog einen Stuhl heran und setzte sich.
»Macht weiter. Das interessiert mich auch.«
Das Schweigen war erstickend. Es knackte in den alten Holzwänden, und ein Blütenblatt löste sich von dem verwelkten Blumenstrauß auf dem Altar. Anna-Greta sah ihn finster an und erklärte: »Simon. Du kannst nicht bleiben.«
»Und warum nicht?«
»Weil … weil es einfach so ist. Kannst du das nicht akzeptieren?«
»Nein.«
Karl-Erik stand auf. Von den anwesenden Personen war er der Rüstigste, und unter seinen hochgekrempelten Hemdsärmeln lugten zwei immer noch muskulöse Arme hervor. »Jetzt ist es jedenfalls so«, meinte er, »und wenn du nicht freiwillig gehst, werden wir dich hinausbefördern müssen.«
Simon stand ebenfalls auf. Karl-Erik hatte er nicht viel entgegenzusetzen, dennoch sah er ihn scharf an und sagte: »Du kannst es ja mal versuchen.«
Karl-Erik hob seine buschigen Augenbrauen und trat vor. »Wenn du es unbedingt so haben willst …« Ohne bestimmte Absicht schloss sich Simons Hand um die Streichholzschachtel in seiner Tasche. Karl-Erik schob wütend ein paar Stühle zur Seite. Er baute Spannung auf.
Anna-Greta rief »Karl-Erik!«, aber der Mann war nicht mehr zu stoppen. In seinen Augen war ein Funke entfacht worden, er hatte eine Aufgabe zu erledigen. Er ging zu Simon und packte dessen Jacke mit beiden Händen. Simon verlor das Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf gegen Karl-Eriks Brust, ließ die Streichholzschachtel aber nicht los.
Die Stirn gegen die Rippen seines Gegners gepresst, bat er das Wasser in Karl-Eriks Blut, das Wasser in seinem Gewebe, sich nach oben zu werfen. Hätte Simon Spiritus in der nackten Hand gehalten, hätte Simons Bitte eine ganz andere Kraft entwickelt, aber es reichte auch so. Karl-Erik taumelte, ließ Simons Jacke los und griff sich an den Kopf. Er wankte zwei Schritte zurück, beugte sich anschließend vor und übergab sich auf den alten Teppich.
Simon ließ die Streichholzschachtel los und verschränkte die Arme vor der Brust. »Will noch jemand?«
Karl-Erik hustete und würgte, warf Simon einen hasserfüllten Blick zu und würgte nochmals, strich sich über den Mund und keuchte: »Was zum Teufel tust du …«
Simon setzte sich auf seinen Suhl und sagte: »Ich will wissen, worüber ihr redet.« Er musterte sie der Reihe nach. »Es geht um das Meer, nicht wahr? Darum, was mit dem Meer passiert.«
Elof Lundberg strich sich über seinen kahlen Schädel, der ohne die obligatorische Schirmmütze unanständig nackt aussah, und fragte: »Wie viel weißt du?«
Einige der anderen sahen Elof wütend an, weil er durch seine Frage indirekt zugegeben hatte, dass es etwas zu wissen gab. Simon schüttelte
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