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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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zurückkehrte, brauchte er nicht zu fragen. Zwischen Johan Lundberg und Märta Karlsson, die den Lebensmittelladen betrieben hatten, bis ihr Sohn ihn übernahm, war ein zusätzlicher Stuhl in den Kreis gezogen worden. Simon wusste nicht, ob es mit Absicht geschehen war, aber er würde Anna-Greta gegenübersitzen.
    Er zog seine Jacke aus, hängte sie über den Stuhlrücken, setzte sich und stützte die Ellbogen auf die Knie. Karl-Erik befand sich zwei Stühle links von ihm und saß da, als hielte er ein Fässchen Nitroglyzerin in den Armen. Wenn er sich bewegte oder seinen Griff löste, würde er in die Luft fliegen.
    Anna-Greta blickte in die Runde und befeuchtete ihre Lippen. Offenbar war sie zur Sprecherin auserkoren worden. Oder es immer schon gewesen.
    »Vor allem anderen«, sagte sie, »möchte ich, dass du uns erzählst, wie viel du weißt. Und woher du es wissen kannst.«
    Simon schüttelte den Kopf. »Damit du abschätzen kannst, wie viel du herausrücken musst? Damit bin ich nicht einverstanden. Anscheinend habt ihr beschlossen …«, Simon warf einen kurzen Blick auf Karl-Erik, »… dass ich eingeweiht werde. Also erzähl.«
    Anna-Greta sah ihn wieder auf diese Art an. Aber ein bisschen anders. Simon brauchte einen Moment, um zu erkennen, was ihre Miene ausdrückte. Dann begriff er es: Sie schämte sich. Das war alles ihre Schuld, weil sie mit Simon zusammen war. Sie war für ihn verantwortlich.
    Elof Lundberg schlug mit den Händen auf die Knie und sagte: »Wir haben keine Zeit, den ganzen Tag hier herumzusitzen. Jetzt erzähl schon. Fang mit Gåvasten an.«
    Anna-Greta kam seiner Aufforderung nach.
    Der Gabenstein
    Ein schwieriges Unterfangen war es in früheren Zeiten, sein Brot als Fischer zu verdienen. Damals gab es keine Prognosen, auf die man sich verlassen konnte, niemanden, der mit Sicherheit vorhersehen konnte, ob das Meer beabsichtigte, sich von seiner besten Seite zu zeigen, oder ob es vorhatte, Winde zu entfesseln, die Mensch und Schiff vernichten konnten.
    Und wenn es so schlimm kam, wenn die zerbrechlichen Boote, die aufs Meer hinausgefahren waren, um ihre Netze einzuholen, in einen Sturm gerieten, welche Möglichkeiten hatte die Besatzung dann, ihre Not anderen kundzutun? Keine. Gott allein hörte ihre Schreie, und seine Bereitschaft, ihnen beizustehen, war unergründlich.
    Man warf mit Sicherheit alles in die Waagschale. Wenn jede Hoffnung verloren schien, wenn die Mannschaft an der Reling aufgereiht stand, um die Wellen daran zu hindern, auf das Deck zu schlagen, konnte man Listen über Kollekten erstellen, die gespendet werden sollten, wenn man an Land kam, falls man je wieder an Land kam. Manchmal ließ Gott Gnade walten, und die Listen wurden am folgenden Sonntag in der Kirche verlesen und die Kollekte eingesammelt.
    Eine zuverlässige Methode war dies jedoch nicht. Viele Verzeichnisse mit weitreichenden Versprechen für Beiträge zu Gottes Ehre sanken mit den Menschen zum Meeresgrund, die sie abgegeben hatten. Unverständlich, könnte man meinen. Aber unser Herrgott ist nun einmal kein Geschäftsmann.
    Ja, ein schwieriges Unterfangen war die Heringsfischerei in früheren Zeiten, aber zuweilen ausgesprochen einträglich. Ganze Familien zogen im Sommer auf die äußeren Inseln, um während einiger Monate ihre Netze auszuwerfen, einzuholen und zu leeren. Man pökelte in Fässern und legte Lager an, um sie im Herbst nach Hause zu transportieren und zu verkaufen.
    Schweden ist auf Salzheringen erbaut. Womit verköstigte man die Armee, welche Kost erhielten ausländische Kirchen bauer und andere Arbeitskräfte? Hering bekamen sie! Wovon ernährten sich die Küstenbewohner während der dunklen Wintermonate?
    Genau. Von Heringen.
    Man fürchtete so sehr, den wertvollen Fisch zu verärgern, dass in der Hafenzunftordnung geschrieben stand: »Wer einen Fisch nicht ehret und ihn mit unrechtem Namen verächtlich erwähnet, entrichte ein Bußgeld von sechs Mark.«
    Das Silber des Meeres. Es musste herausgeholt werden, und die Risiken musste man eben eingehen. Aber man schaute sich nach Möglichkeiten um, sein Auskommen sozusagen zu garantieren. Die Risiken zu verringern, damit man sich sicher fühlen konnte.
    Was Anna-Greta zu erzählen hatte, ereignete sich vor vielen Hundert Jahren. Das Areal, auf dem heute Nåten steht, lag zum Teil noch unter Wasser. Domarö und die umliegenden Schären waren die äußersten Inseln. Darüber hinaus gab es hier jenen Felsen, der seit alters her Gåvasten,

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