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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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eine Reihe von Frauen. Aus unklaren Gründen wurden einige Personen so weit begnadigt, dass sie zuerst enthauptet wurden. Vielleicht hatten sie sich beim Denunzieren besonders eifrig hervorgetan. Die anderen wurden bei lebendigem Leibe verbrannt.
    Die restlichen Frauen wurden in Spinnhäuser gesteckt, die Kinder auf Waisenhäuser verteilt. Auf Domarö verrotteten die Netze auf ihren Trockengestellen, und das Eis des Winters zerquetschte die Boote. Niemand wollte etwas von dieser Insel wissen, am liebsten hätte man sie von der Seekarte, vom Erdboden getilgt.
    Man wurde teilweise erhört. Im folgenden Sommer, wenige Tage nach der Sommersonnenwende, fegte ein Sturm über die Schären hinweg. Überall, wo Menschen auf Inseln und Eilanden lebten, spürte man seine Folgen, aber nirgendwo war die Zerstörung größer als auf Domarö.
    Man war wie gesagt nicht geneigt, dort an Land zu gehen, aber als der Sturm abflaute und die Menschen sich wieder in ihre Boote wagten, konnte man schon aus der Ferne sehen, was geschehen war. Die prachtvollen Häuser, die von den Bewohnern Domarös errichtet und mit ihrem hässlichen Handel finanziert worden waren, standen nicht mehr. Ihre Boote waren fort, und die Stege, an denen die Fischerboote gelegen hatten, verschwunden.
    Nicht, dass sie sich in Luft aufgelöst hätten, oh nein. Die Fundamente waren noch da, und die Trümmer der Häuser, die auf ihnen gestanden hatten, lagen auf den Felsen verstreut. Einige wenige Balken eines Bootsstegs ragten noch aus dem Wasser. Aber eine Bebauung existierte nicht mehr.
    Dies ließ sich nur so deuten, dass der Anblick Domarös für Gott eine Qual gewesen sein musste. Ein Dorn im Auge war diese Insel gewesen, und jetzt hatte er das Meer mit dem Rechen darüber gehen lassen, um die Schären von dieser Missgeburt zu befreien.
    Während des gesamten Sommers und bis weit in den Herbst hinein wurden das Festland und die umliegenden Inseln durch das Treibholz von Domarö gepeinigt. Bauholz von Häusern und Stegen trieb an andere Ufer und wurde dort mit der gleichen Freude in Empfang genommen wie die Kleider eines Menschen, der an der Pest gestorben war. Flammen waren das einzige Heilmittel, und von Zeit zu Zeit loderten Feuer auf den Felsen auf, in denen man alles, was von der Bebauung Domarös übrig geblieben war, bis zum letzten Holzspan verbrannte.
    So endet das erste Kapitel in der Geschichte Domarös.
    Einsatz
    Simon fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Anna-Greta hatte das alles nicht erzählt, als handelte es sich um eine Legende aus der Vergangenheit, sondern als gäbe sie einen sakralen Text wieder. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet gewesen, und ihre Stimme war belegt und schwer von der Ernsthaftigkeit dessen, was aus ihrem Mund kam. Simon erkannte seine Anna-Greta nicht mehr wieder.
    Er konnte die Geschichte, die aus irgendeinem Grund zum Evangelium geworden war, allerdings nicht einfach als Ammenmärchen abtun. Was er am eigenen Leib erfahren hatte, hinderte ihn daran. Seine Erfahrung am Schiffsanleger vor fünfzig Jahren passte nur zu gut zu all dem, was Anna-Greta erzählt hatte.
    Es herrschte Stille im Raum. Simon schloss die Augen. Die Geschichte hatte viel Zeit in Anspruch genommen, draußen war es mittlerweile sicher schon dunkel. Als er horchte, konnte er in weiter Ferne das Meer hören. Wind war aufgekommen. Simon lief ein Schauer über den Rücken.
    Das Meer. Es ist noch nicht fertig mit Domarö.
    Als er die Augen wieder aufschlug, stellte er fest, dass ihn alle ansahen. Es waren keine ängstlichen, suchenden Blicke, kein du glaubst uns doch? , nur ein stilles Warten darauf, was er zu sagen haben würde. Er beschloss, im gleichen Stil zu antworten, räusperte sich und erzählte ihnen, was bei seiner Entfesselungsnummer passiert war. Als er fertig war, sagte Margareta Bergwall: »Nun ja, Anna-Greta hat uns davon erzählt.«
    Johan Lundvall schnaubte und drohte Simon mit dem Finger. »Du hattest also doch einen Dietrich. Hab ich’s mir doch gedacht.«
    Also hatte Anna-Greta den anderen erzählt, was er ihr anvertraut hatte.
    »Dann sind das also historische Fakten?«, fragte Simon an Anna-Greta gewandt.
    »Ja. Es gibt Vernehmungsprotokolle. Auch von den Verhören, bevor … der Teufel ins Spiel kam.«
    »Dann glaubt ihr also nicht, dass der Teufel etwas damit zu tun hat?«
    Eine wohltuende Welle aus Kichern und verächtlichem Schnaufen lief durch die Anwesenden. Sie verzogen grinsend den Mund, rutschten unruhig hin und her und

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