Menschenhafen
dem Tag, an dem traditionell die Abstimmung stattfand.
Man sollte meinen, die Gefahr, auserwählt zu werden, hätte die Menschen gütiger und harten Worten weniger zugeneigt werden lassen, da sie fürchten mussten, als Problemfall betrachtet zu werden. Doch, das sollte man meinen. Aber so war es nicht.
Statt Freundlichkeit grassierte Unterwürfigkeit, statt Aufrichtigkeit blühte Verlogenheit. Die freundlichen Worte verebbten und wurden zu Tuscheleien und Konspirationen, man schloss sich in geheimen Zirkeln zusammen und schmiedete Bündnisse. Es war schon schlimm genug gewesen, als es bei der Abstimmung darum gegangen war, die Person auszuschließen, an der die Allgemeinheit am wenigsten Freude hatte. Diese Ära war jetzt vorbei. Nun ertränkte man den, der beim Intrigieren versagt hatte.
Es kam durchaus zu heroischen, aus Liebe geborenen Taten. Eine Mutter oder ein Vater nahm den Platz des Kindes ein, Brüder ließen sich statt ihrer Schwestern fesseln. Doch nach einigen Jahren verschwand auch diese Liebe. Wer im einen Jahr verschont geblieben war, konnte im nächsten Jahr zum Opfer werden. Man versank in Apathie, zog reichlich Heringe aus dem Wasser und freute sich über nichts.
Domarö war zu jener Zeit fast völlig isoliert. Kontakte mit der Außenwelt gab es nur beim Verkauf des Fischs im Herbst. Während die Jahre ins Land gingen, ließ sich trotzdem nicht vermeiden, dass Gerüchte aufkamen. Seltene Besucher berichteten von der bedrückten Stimmung auf der Insel, und die Leute von Domarö blieben auf dem Herbstmarkt immer für sich. Sprachen mit niemandem, wenn es nicht um Geschäftliches ging, erlaubten sich kein Lächeln. Außerdem verschwanden Menschen. Das ließ sich auf Dauer nicht verbergen.
Im Jahre 1675 wurde schließlich eine gründliche Untersuchung der Verhältnisse auf Domarö durchgeführt. Eine aus Ratsherren, Pfarrern und Polizeibütteln aus Stockholm bestehende Delegation wurde zur Insel gebracht, um zu schauen, ob die Epidemie aus Irrglauben und Anbetung Satans, die in der Hauptstadt um sich gegriffen hatte, auch am Rande des offenen Meers Verbreitung gefunden hatte.
Man stellte fest, dass dem so war. Seit jeher gewohnt, zu konspirieren und sich gegenseitig zu verleugnen, waren die Inselbewohner nur allzu willig, andere zu denunzieren, sobald sie sich unter Druck gesetzt fühlten. Die Geständnisse, die hinter verschlossenen Türen abgelegt wurden, nahmen überhaupt kein Ende, aber es ging in ihnen immer um den Nachbarn. Immer nur um den Nachbarn.
Unfähig, das Knäuel aus gegenseitigen Anschuldigungen zu entwirren, das sich die Delegation anhören musste, beschloss man, fürs Erste eine Reihe von Männern zu verhaften, die am meisten kompromittiert zu sein schienen. Sie wurden nach Stockholm gebracht und inhaftiert.
Bei den Vernehmungen gestanden die Männer, dass man in der Absicht, sich materielle Vorteile zu verschaffen, Menschen geopfert hatte, aber von einem Pakt mit dem Teufel wollte man nichts wissen. Nach zwei Wochen scharfer Vernehmungen mit Zangen und Dauenschrauben änderten die meisten jedoch ihren Standpunkt. Wenn man es recht bedachte, hatte man den Herrn der Finsternis durchaus angebetet und auch ein Tänzchen mit ihm gewagt.
Folterknechten und Schreibern gelang es schließlich mit vereinten Kräften, ein umfangreiches Dokument zusammenzustellen, das ganz im Sinne dessen war, was man vorzufinden gefürchtet hatte. Domarö war ein Kessel, in dem die stinkenden Elixiere des Teufels brodelten, die Insel war eine Gefahr für die gesamten Schären.
Als man nach Domarö zurückkehrte, um die restliche Bevölkerung zur Untersuchung einzubestellen, und feststellte, dass niemand geflohen war, wunderte man sich ein wenig. Man sah darin Verstocktheit und einen trotzigen Glauben daran, dass die bösen Mächte ihnen beistehen würden. Aus diesem Grund mochte man keine Gnade walten lassen. Domarö wurde entvölkert, und es begann eine langwierige Untersuchung.
Nach gut einem Jahr wurde schließlich das Urteil verkündet. Es lagen bessere Beweise vor als in vielen anderen der einschlägigen Prozesse. Hier ging es nicht nur um voreilige Worte, mit denen die Ehre Gottes beschmutzt wurde, oder zweideutige Geständnisse von Kindern und Dienstmädchen, nein, hier war es ohne jeden Zweifel zu Menschenopfern gekommen, und das Böse war bei den Angeklagten allerorten zu spüren. Man wollte ein Exempel statuieren.
Die Männer von Domarö wurden ausnahmslos zum Tode verurteilt, genau wie
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