Menschenherz - Band 1-3
nachdenklich an. Unbewusst strich sie mit ihren Fingern über seinen Ring.
Er wusste, dass sie versuchte sich an etwas von dem zu erinnern, was er ihr erzählte. Oder an irgendetwas. Und er wusste, dass ihr Versuch vergeblich war.
„ Ich erinnere mich nicht!“, ihre Stimme war leise und traurig. „Ich erinnere mich an gar nichts!“
Sie begann zu zittern. Erschrocken sah er sie an. Sie war leichenblass.
„ Mein ganzes Leben!“ Sie schüttelte den Kopf, als könne sie nicht begreifen, wie so etwas geschehen konnte. „Es ist weg! Alles! Mit einem Schlag!“
Besorgt zog er sie zu sich und als sie sich nicht wehrte, legte er seine Arme um sie.
„ Alles umsonst! Alles, was ich bisher gemacht und getan habe! Es war alles umsonst!“
Er drückte sie fest an sich. Wie um sie zu beschützen, oder um sie sich einzuverleiben. Sie klammerte sich an ihn und während er ihr tröstend über die Haare strich, lächelte er siegessicher in die Kamera.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, löste sie sich sanft aber bestimmt aus seiner Umarmung. Ihr Blick bat um Verzeihung.
Er lächelte ihr verständnisvoll zu. „Weißt du, andere Paare träumen davon, den Anfang noch einmal erleben zu können. Das Kennenlernen, die Aufregung, den ersten Kuss.“ Er lächelte. „Und wir beide haben jetzt die Chance dazu.“
Sie lachte geschmeichelt und der Mann neben ihr schien sich auf einmal in einen kleinen Jungen zu verwandeln. Gleichzeitig froh und stolz darauf, seine Partnerin glücklich machen zu können.
„ Ich schlage vor, du packst deine Koffer, während ich mich um die Formalitäten kümmere!“
Sie nickte. Dankbar dafür noch ein paar Momente allein sein zu dürfen um in Ruhe über alles gehörte nachzudenken.
Als die Tür hinter ihrem Ehemann zufiel, stand sie auf und ging zum Fenster.
***
Adam betrat den kleinen Raum. Er wirkte aufgewühlt und sein besorgter Ausdruck nahm noch zu, als er erkannte, dass nur Gabriel da war.
Der junge Mann war noch nie allein mit dem Engel gewesen. Plötzlich fühlte er sich schuldig und unvollkommen. Als denke Gabriel, er sei es in Wirklichkeit nicht wert, Lilith zu lieben. Unsicher schluckte er und überlegte, was er sagen sollte.
„ Sie ist nicht mehr so leicht zu manipulieren, wie vorher“, versuchte er seine Gedanken auf einen Punkt zu bringen und trotzdem unverbindlich zu bleiben.
„ Du hast sie nicht manipuliert!“, gab Gabriel zurück, ohne einen Blick von dem Monitor zu nehmen.
Adam fühlte sich angegriffen. „Natürlich. Was denkst du, warum sie in den Ritus eingewilligt hat?“
Lange sah Gabriel den jungen Mann vor sich an. Zum ersten Mal empfand er so etwas wie Sympathie und Verständnis für ihn. – Auch wenn dieser gerade dabei war, ihm das Liebste und Vollkommenste zu nehmen, was er auf dieser unvollkommenen Welt hatte.
„ Glaubst du wirklich, dass sie sich von dir hätte manipulieren lassen, wenn du ihr nicht geboten hättest, was sie schon lange wollte?“ Sein Tonfall war sanft.
Trotzdem zuckte Adam zusammen, als hätte der Engel ihm den Todesstoß gegeben. Gabriel seufzte, bevor er die schwersten Sätze sagte, die je seinen Mund verlassen hatte: „Und sie mochte dich. Sie mochte dich vom ersten Moment.“ Er lächelte den jungen Mann an, der ihn anstarrte, als könne er nicht glauben, was er hörte.
„ Ich glaube, sie hätte auch in den Ritus eingewilligt, wenn sie den ganzen Plan gekannt hätte. Wenn sie gewusst hätte, wer du bist.“
Der junge Mann strahlte den Engel an. Ein bisher unbekanntes Hochgefühl hatte nach ihm gegriffen. Der Engel gab nicht nur zu, dass Lilith ihm gehörte. Er gestand ihm auch ein, dass sie es wahrscheinlich selber so wollte.
Gabriel drehte sich weg, weil er Adams glückseligen Gesichtsausdruck nicht mehr ertragen konnte. Vor allem nicht, weil er sich selber so elend fühlte, so betrogen.
„ Du müsstest dich toll fühlen“ , redete er sich ein, „am Ziel deiner Wünsche und Hoffnungen.“
Er ahnte, dass der junge Mann nicht wirklich verstand, was vor sich ging. Er hatte Lilith so leicht beeinflussen können, weil sie an einem Tiefpunkt angelangt war, an dem sie jede ihr angebotene Rettung angenommen hätte.
„ Beinahe wie damals in Ur“ , dachte Gabriel leise und wusste, dass der junge Mann Lilith an Adam erinnert, an ihre verwirkte Bestimmung, an den größten Fehler in der Menschheitsgeschichte.
Jetzt erinnerte sie sich an nichts mehr. Amüsiert lächelte Gabriel als er einen Vergleich zum ersten Tag, zum
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