Menschenherz - Band 1-3
Nebelschwingen.
Doch die Stimme verriet das Wesen. Erschrocken begriff Lilith, dass das Finsterwesen auch ein Engel sein musste. Irgendwie.
Sie öffnete die Augen, gewappnet für dass, was sie sehen würde. Wieder starrte sie in die Dunkelheit und fühlte, dass diese zurück starrte. Nach und nach klärte sich ihre Sicht, obwohl sich in und an der Realität nichts änderte. Es war mehr ein Verschieben ihrer eigenen Wahrnehmung. Wie von ihrem Verstand gefiltert erkannte sie etwas hinter der Finsternis, in ihr. Einen Engel, der sie mit brennenden goldenen Augen betrachtete.
„ Großer Gott, die Augen!“ Sie krümmte sich vor Entsetzen und schnappte nach Luft.
Es war derselbe Engel, den sie zuvor auf der Straße gesehen hatte, doch dieses Mal war er nicht traurig – er war wütend.
Wütend auf sie und wütend auf Gabriel. – Und seine Wut machte ihr mehr Angst, als sie es sich jemals hätte ausmalen können.
„ Ich habe sie nicht zu einer Marionette gemacht – niemals!“, keifte der Erzengel und der Engel mit den goldenen Augen wandte sich ihm zu.
„ Ich habe ihr geholfen, immerzu geholfen und ich habe versucht ihr ihre Wünsche zu erfüllen!“
„ Du hast sie manipuliert!“
„ Dann bin ich wohl nicht besser als du, nicht wahr?“, konterte Gabriel.
Die junge Frau versuchte auszuloten, was wirklich vor sich ging. Sie begriff nichts von dem, was die Engel sagten, so als sei alles mit einem Code chiffriert, den sie nicht knacken konnte.
„ Sie hat dir vertraut!“ Der Engel mit den erschütternden Augen und der erschütterten Stimme wirkte fassungslos und traurig, so als sei er von einem vermeintlichen Freund verraten und ausgeliefert worden.
„ Ich habe ihr geholfen!“, verteidigte sich Gabriel.
„ Nein, du hast versucht die Welt zu verändern und ihr deine Hoffnungen aufzuzwingen!“
„ Jedenfalls habe ICH sie nicht im Stich gelassen!“
„ Ich habe sie nicht im Stich gelassen.“ Doch der Tonfall des Anderen verriet, dass Gabriel einen wunden Punkt berührt hatte.
Der Erzengel schnaubte höhnisch.
„ Sie war deine Geliebte, Samiel. Sie hat dir vertraut und du hast sie allein gelassen.
„ Seine Geliebte?“ Liliths Blick blieb auf dem markanten Gesicht Samiels ruhen. „So schön!“
Schuldbewusstsein verdrängte die Wut von seinen Zügen, als er ihren Blick erwiderte.
„ Wie kann ich seine Geliebte gewesen sein?“
„ Sie hat dich geliebt.“ Gabriels Stimme klang verführerisch und beruhigend. „Sie hat dich geliebt. Mehr als Gott, mehr als alles andere auf dieser Welt. Aber du hast ihre Liebe verspielt: Es ist vorbei!“
In ihren Ohren klang es wie eine Feststellung, als verspotte er sie dafür, nichts mehr von ihrer Vergangenheit oder ihrer Liebe zu einem Engel zu wissen. „ Ich habe einen Engel geliebt?“
„ Wovon redet ihr überhaupt?“, fragte sie leise. Doch die Engel reagierten nicht auf ihre Frage, als hätten sie sie nicht gehört.
„ Jetzt liebt sie ihn!“ Gabriel deutete auf den bewusstlosen Adam. „Lass sie gehen!“, bat er.
„ Nein!“ Es war eine schlichte Feststellung der Tatsachen, als Samiel ihren Blick abermals einfing.
„ Lass sie ihr Leben leben, so wie sie es für richtig hält!“, bat Gabriel, doch Samiel ließ kein Auge von Lilith, die Adams Kopf in ihrem Schoss gebettet hielt. Sie spürte, wie Wut in ihren Eingeweiden die Angst und die Verwirrung verdrängte.
Und sie wurde immer wütender. Wütender darüber, dass Schmetterlinge begannen in ihrem Bauch zu tanzen, weil der Engel mit den goldenen Augen sie leidenschaftlich und besitzergreifend betrachtete, so als gehöre sie ihm.
Adam begann sich leicht zu bewegen und sie ahnte, dass er jedes Wort wahrnahm.
„ Sie weiß doch ich Moment gar nicht, was sie will!“ Samiel wandte sich Gabriel zu. „Sie erinnert sich nicht.“
„ Dann erzählt es mir doch!“ Lilith gab sich keine Mühe die Wut aus ihrer Stimme zu verbannen. „Wie können es sich diese beiden anmaßen, über mich zu reden, als sei ich nicht da? Als sei ich nicht in der Lage Entscheidungen zu treffen?“
Überrascht drehte sich Samiel zu ihr um. Er erkannte ihre Wut, aber schüttelte den Kopf.
„ Ja! Genau!“ Gabriel lachte gehässig. „Erzähl es ihr. Erzähl ihr, was du ihr angetan hast. Wie egoistisch du bist. – Und das du an allem Schuld bist, deine Entscheidungen sie ins emotionale Nirvana gestürzt haben!“
„ Ich erzähle es dir!“, flüsterte Adam leise. Sie legte ihm behutsam die Hand auf die Stirn.
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