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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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Erziehungsdebatte inzwischen ist, zeigt sich an nichts deutlicher als daran, wie kritiklos Grenzen und Disziplin als der Kern von Erziehung dargestellt werden. »Disziplin ist das Fundament aller Erziehung« – so Bernhard
Bueb. Nicht Bindung? Nicht Beziehung? Nicht Kompetenz? 50 Jahre Bindungsforschung — und dann geht es wieder nur um die Disziplin? »Wir müssen uns dazu durchringen, legitime Macht als Autorität anzuerkennen, die Macht Gottes, die Macht des Staates und die Macht der Erziehungsberechtigten.« Lob bekommt da, »wer konsequent Unterordnung eines Kindes verlangt«. Sogar: »Ein möglicher Missbrauch [von Autorität] darf kein Einwand sein.« Also: »Schüler müssen sich auch Lehrern unterordnen, die durch ihre Persönlichkeit den Anspruch auf Autorität nicht einlösen können.«
    Andere bringen die Masche mit den Vierbeinern, denen es ja auch gut täte, wenn sie mit »Konsequenz« behandelt würden und wenn sie wissen, »wer hier der Chef« ist. Amy Chua braucht drei Kapitel, um den Unterschied zwischen Kindererziehung und Hundeerziehung zu erklären: Vom Prinzip her sei der Ansatz übertragbar, in der Praxis scheitere man aber beim Hund nicht selten an dessen mangelnder Intelligenz.
    Was für ein Theater! Ja, ein Hund wird durch Konsequenz und Disziplin durchaus seine Aufgaben lernen: Fremden nicht ans Bein pinkeln (da verliert Herrchen Freunde), Autos nicht nachrennen (da verliert Herrchen den Hund), nicht zu viel Futter fressen (da verliert Hund seine Gesundheit). Der Hund wird sein ganzes Leben in kompletter »hündischer« Abhängigkeit von seinem Herrchen verbringen – das liegt in seiner Natur, und es ist die Voraussetzung für sein Überleben. Der Geschäftszweck der Kindheit aber ist genau das Gegenteil: von den Eltern unabhängig zu werden. Der Sinn von Erziehung ist nicht, dem Kind Macht vorzuenthalten, sondern es seine Macht entwickeln und nutzen zu lassen!
    Das ist heute noch dringender geworden. Wir Menschen sind uns in weiten Teilen der Gesellschaft viel stärker auf Augenhöhe gerückt. Wir funktionieren nicht mehr in Befehlsketten, wie das in der jüngeren Geschichte üblich war (wohlgemerkt, in der jüngeren Geschichte – das evolutionäre Grundmodell des Zusammenlebens von Homo sapiens hat nicht auf Befehlsketten aufgebaut).
Das gilt für das Verhältnis zwischen Frau und Mann, und das gilt in zunehmendem Maß auch für die Arbeitswelt. Und das hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kind, ob wir das begrüßen oder nicht. Ja, vielleicht »funktionieren« Kinder wirklich besser unter straffen Zügeln — aber ist das deshalb richtig ? Ist es gut für sie ? Ist es die richtige Vorbereitung auf die heutige Welt? (Nur zur Erinnerung: Vor nicht allzu langer Zeit waren noch die meisten Männer der Meinung, dass auch Frauen unter straffen Zügeln besser funktionierten …)
    Abgesehen davon scheint die Hoffnung auf mehr »Machtgefälle« fast schon fahrlässig weltfremd. Nach der Debatte um den Missbrauch von Kindern in Kirchen, Schulen und Heimen dürfte bekannt sein, wie viele Erwachsene mit ihrer Macht über Kinder eben nicht gut umgehen können. Ein möglicher Missbrauch von Autorität sei »kein Einwand« gegen das Prinzip des Gehorsams gegenüber Autoritäten? Wie bitte?
    Und vielleicht sollten wir auch nicht vergessen, dass die gehorsamen Kinder früherer Generationen eben nicht nur mucksmäuschenstille Schüler waren – sondern für die jeweils herrschende Ideologie, und sei sie noch so menschenverachtend, auch singend in die Schützengräben stiegen. Seltsam, dass man daran erinnern muss: Gehorsam, Autorität und Disziplin haben als kulturelle Leitbilder ihre Chance gehabt. Dabei ist für die Gesellschaft wenig Gutes herausgekommen. Zumindest erscheint es mir dreist, jetzt aus diesen Krückstöcken die angebliche Rettung des Abendlandes zu konstruieren.
    Grenzen heute
    Das soll nicht heißen, dass alles rosig ist im Abendland. Unsere Erziehungsprobleme sind gravierend. Und unsere Kinder sind Verlockungen ausgesetzt, die es so früher gar nicht gab – man denke an den exzessiven Medienkonsum, der inzwischen wirklich
zu einem der größten Entwicklungshemmnisse für Kinder geworden ist (und gerade den Kindern in den armen Schichten noch die letzte Chance auf den sozialen Aufstieg vermasselt). Wer weiß denn, ob wir selbst früher auf den Straßen unsere Banden gegründet hätten, wenn es am Bildschirm einen Drachen zu erschießen gegeben hätte –

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