Menschenkinder
ein reichhaltiges soziales Netz oder eine vertraute Bindungsperson außerhalb der Kernfamilie – etwa eine Großmutter, Tante oder auch ein erwachsener Freund.
Und Kinder. Wer in Kindergruppen und – banden soziale Fertigkeiten ausbilden kann, ist später widerstandsfähiger. Wer seine Position unter Seinesgleichen finden muss, ist später kein Blatt im Wind. Wer als Kind dagegen immer nur nach den Vorgaben Älterer, Mächtigerer und Klügerer leben muss, kann auf die Dauer nur schwer bestehen – sein soziales Immunsystem kann sich nicht entwickeln.
Kinder machen sich gegenseitig Mut
Das passt zu dem, was wir über das kindliche Spiel erfahren haben: Im selbst organisierten Spiel lernen Kinder mit Stress umzugehen, Probleme zu lösen und für sich selbst einzutreten.
Immer nur behütet zu sein kann einem Kind deshalb gefährlich werden. Wer als Kind nicht spontan und fantasievoll spielen konnte, ist später ängstlicher, mutloser, verzagter – diese Erkenntnis verdanken wir dem Psychiater Stuart Brown, der vier Jahrzehnte lang 6.000 Menschen über ihre Kindheit befragte. Kein Wunder, dass Kinderpsychologen heute immer mehr Patienten aus Kreisen behandeln, die (angeblich) »alles haben« – nur eben keine wirkliche Kindheit mehr.
Vielleicht kann der Blick auf das Immunsystem der kindlichen Entwicklung auch den Eltern eine neue Perspektive geben. Denn das Augenmerk von Erziehung war ja immer zuallererst auf die Belastungen gerichtet: Wenn wir nur die Belastungen und Risiken aus dem Leben der Kinder verbannen könnten, so die Hoffnung, wird alles gut. Wenn die Kinder nur viel Mutterliebe bekommen, die richtigen Vorbilder und eine gute Bildung haben, dann steht ihnen die Welt offen. Und so ist die Hauptsorge der Eltern oft die, dass sie ihre Kinder auch ja genug unterstützen, ihnen genug Selbstbewusstsein mitgeben. Viel von diesem, viel von jenem.
Womöglich baut eine gelungene Entwicklung aber genauso gut auf Dinge, die Eltern ihren Kindern nicht mitgeben können. Dinge, bei denen die Eltern vielleicht sogar einen Schritt zurücktreten müssen. Dinge, die Kinder besser untereinander regeln.
Die Balance finden
Das kann vielleicht eine kleine Nabelschau verdeutlichen. Ein großer Teil meiner eigenen Generation wurde unter Bedingungen sozialisiert, die heute als pädagogisch minderwertig gelten. Kindergärten ohne ausgefeiltes pädagogisches Konzept – ein bisschen basteln, singen und viel spielen. Wichtig war vor allem, dass die Zahl der morgens gebrachten Kinder nicht über der der abends abgeholten lag. In der Grundschulzeit dann viel Freizeit, den ganzen Tag auf der Straße, auf den Wiesen, der Himmel hoch,
Erwachsene fern. Da fragt man sich doch: Wie hat diese Generation überhaupt das Leben gepackt – und sogar aktiv mitgestaltet? Ist es wirklich Zufall, dass die letzten großen sozialen Bewegungen in unserem Kulturraum — Alternativbewegung, Antiatombewegung, Wiedervereinigung — von dieser auf den Gassen und Kickwiesen verkümmerten Generation getragen wurden?
Um beim Persönlichen zu bleiben: Auch der Blick in die Kinderbücher gibt mir zu denken. Da wimmelt es doch von vernachlässigten Bildungsversagern: Pippi Langstrumpf, Tom Sawyer, Michel aus Lönneberga, Lotta aus der Krachmacherstraße, die rote Zora, Momo – Herr der Diebe! Alle diese Bücher beschreiben eigentlich die Selbstsozialisation von Kindern in mehr oder weniger wildwüchsigen Kindergruppen. Warum sind die alten Schinken nicht totzukriegen – sie passen doch längst nicht mehr in eine Zeit, in der sich das Leben der Kinder auf Klingeltonweite von den Eltern abspielt und alles, was Spaß macht, später einmal als Lücke im Lebenslauf gewertet wird. In eine Zeit, in der genug Kinder sogar Pillen verordnet bekommen, um eben nicht so zu sein wie die Kinder in den Kinderbüchern?
Ganz einfach: Weil diese Welt in unseren Kindern ihren Platz hat – und auch heute noch nach ihrem Platz sucht. Das Spiel mit anderen Kindern, das wilde Leben auf Augenhöhe ist kein alter Schinken, sondern eine Universalkonstante der Menschheit – und heute, wo immer mehr Kinder zudem noch auf Geschwister verzichten müssen, mindestens so aktuell wie zur Entstehungszeit der genannten Bücher. Die Entwicklung einer sozialen Art funktioniert nicht unter einer sozialen Glasglocke.
Das Rückgrat der Kindheit
Nach Auskunft der Soziologen werden die heutigen Kinder mit 40 Jahren mehrmals den Job gewechselt haben. Viele von ihnen werden Auslandsaufenthalte
Weitere Kostenlose Bücher