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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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hinter sich haben. Ihre Arbeitsplatzsicherheit
wird gering sein, ihre Mobilität dagegen so hoch wie nie. Sie werden immer weniger im produzierenden Bereich, dafür umso häufiger im Dienstleistungsbereich arbeiten. Die wenigsten werden also Schrauben eindrehen, die meisten in Teams arbeiten, in denen Kommunikationsfähigkeit, Kreativität und Empathie gefragt sein werden. Dies ist das Zeitalter emotional stabiler, motivierter, lebenslang lernfähiger, vernetzter Persönlichkeiten. Narzisstische, neurotische, leicht frustrierbare und gegen Stress empfindliche Menschen werden es noch schwerer haben als heute.
    In dieser Welt werden Kinder ihr Immunsystem gut gebrauchen können.
    Zurück nach Shanghai
    Wenn also demnächst der Treck der Bildungspolitiker nach Shanghai einsetzt (er wird kommen, denn nichts überzeugt einen Bildungspolitiker mehr als ein gutes Ergebnis im Pisa-Test), sollten wir ihnen Folgendes zu bedenken geben.
    ERSTENS. Wenn Kinder viele Einsen schreiben, heißt das noch lange nicht, dass sie gut aufs Leben vorbereitet sind. Vielleicht reden die Politiker auf ihrer Reise auch einmal mit den Professoren an den Pekinger Elite-Universitäten, die sich über Studenten beklagen, die zwar perfekt mathematische Probleme lösen, aber nicht unabhängig arbeiten können, wenig Kreativität entwickeln und in Teams nicht klarkommen. Tatsächlich wartet die Welt ja bisher noch vergebens auf wirkliche Innovationen »made in China«, von einem tragfähigen gesellschaftlichen Modell ganz zu schweigen. Und vielleicht beschäftigen sie sich dann auch einmal mit der Frage, wie diejenigen Kinder mit dem Leben zurechtkommen,
die eben nicht auf den ersten Plätzen gelandet sind – die in ihrem Leben aber nichts anderes gelernt haben, als sich nach den ersten Plätzen zu strecken.
    ZWEITENS. Wenn Kinder Einsen schreiben, mag das so manche erfolgreiche Karriere begründen – aber reicht es aus, um eine Gesellschaft zu tragen? Werden die Kinder ihre Leistung einmal nutzen können, um die Welt weiterzubringen? Das scheint mir doch die entscheidende Frage zu sein, wo wir gerade noch einmal einer Krise entkommen sind, die vor allem eines gezeigt hat: dass unsere Welt in der Hand dieser ach so exzellenten Eliten nicht gut aufgehoben ist.

    Erziehung hat nach meiner Meinung einen Mindestanspruch zu erfüllen. Nämlich den, dass unsere Kinder lernen zusammenzuspielen . Natürlich ist es schön, wenn sie auch vorspielen können und wenn sie Spitzenleistungen erbringen – ich wäre der Letzte, der sie dazu nicht anspornen würde (fragen Sie meine Kinder). Aber das Leben ist kein Konzertsaal, und eine Welt, die nur Vorspieler und gescheiterte Vorspieler kennt, muss eine Art Hölle sein. Exzellenz muss immer auch mit sozialer Kompetenz zusammengedacht werden. Das kann nicht in jedem Kind eine Einheit bilden (dazu sind Kinder viel zu verschieden), aber unser Erziehungssystem als Ganzes sollte darauf ausgerichtet sein.
    Kinder brauchen eine geschützte, aber gleichzeitig auch unabhängige Kindheit. Sie brauchen nicht nur Anleitung, sie brauchen auch Eigeninitiative. Aber wie ist das zu schaffen, bei all den Gefahren und Verlockungen?

6
WIE VIEL FREIHEIT, WIE VIELE GRENZEN?
    Noch bevor Amy Chua ihre radikalen Erziehungsmethoden ins Spiel brachte, riet schon ein Harvard-Psychologe namens Richard Bromfield dazu, mit Kindern bei Grenzüberschreitungen in den Spielzeugladen zu gehen, um ein dort zuvor gekauftes Geschenk zurückzugeben – zur Erinnerung an die Hausregeln.
    Auch wenn an den Methoden noch gearbeitet wird, das »Prinzip Grenzen« gehört schon länger zum festen Bestand in der Erziehung. Tatsächlich kommt seit den antiautoritären Experimenten der 1970er-Jahre kaum ein Erziehungsratgeber in Deutschland
ohne die »Grenzen« im Titel aus – Kinder brauchen Grenzen , Wie man Kindern Grenzen setzt oder Das neue Buch der Grenzen .
    Das alles als einfältige Pädagogik zu geißeln fällt leicht – bis einen an der Bushaltestelle ein paar Teenager mit unflätigem Verhalten auf die Palme bringen. Oder im Zug die kleine Vanessa das ganze Abteil von Hamburg bis München mit ihrem Gemeckere tyrannisiert. Was für ein Segen Regeln und Grenzen doch sind!
    Leitplanken der Entwicklung
    Manche Ratgeber suggerieren, dass Kinder um Grenzen geradezu betteln: »Bitte setzt mir Grenzen, sonst ist die Welt so groß und bedrohlich!« Das ist zunächst einmal nichts als eine sehr durchsichtige Glorifizierung der elterlichen Rolle. Denn die

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