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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Renz-Polster
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oder wenn das Fernsehen tagsüber nicht mit einem strikten, vom hellhörigen Ohr der Mutter überwachten Verbot belegt gewesen wäre?
    Daher gleich ein Lob auf das Verbot! Ja, es ist in Ordnung, dass Eltern ihren Kindern manche Dinge einfach verbieten . Im modernen Leben stehen Honigtöpfe herum, denen unsere Kinder ausgeliefert sind – ohne dass die Evolution einen Schutz davor mitgeliefert hätte. Natürlich hat ihre Lust auf Süßes Kinder des Öfteren dazu gebracht, sich an den reifen Kirschen oder reifen Brombeeren zu überfressen – aber das war es dann auch. Heute stehen sie mit ihrem süßen Zahn vor den Regalen mit Schokoriegeln und Bonbons und würden dafür ihre Gesundheit ruinieren. Dasselbe mit den Medien – gegen diese Form des Angriffs auf das kindliche Belohnungszentrum ist kein natürliches Kraut gewachsen. Das Problem des exzessiven Konsums von Computerspielen wird deshalb zunehmen, und er wird unseren Kindern nicht guttun.
    Gut also, wenn Eltern da Grenzen setzen können.
    Im Kleingedruckten zeigt sich aber auch gleich das erste Teufelchen. Das Setzen von Grenzen ist gar nicht so einfach! Grenzen funktionieren langfristig nämlich nur, wenn sie Teil funktionierender Beziehungen sind (es war die Rede davon): Sobald bei der Erziehung das schlechte Gewissen, Motive wie Belohnung und Bestrafung, die Liebes – und die Machtfrage oder der eigene Frust ins Spiel kommen, wird es mit den Grenzen schwierig.Tatsächlich zeichnen sich dysfunktionale Beziehungen ja gerade dadurch aus, dass auch die Grenzziehungen nicht glücken. Und damit sind wir gleich bei so unaufgeräumten Sachen wie Stress in der Familie, dem Selbstwertgefühl, den Beziehungen der Eltern, dem gelingenden oder misslingenden Alltag ... Und damit wird auch verständlich,
warum so viele Familien schon an der Süßigkeitenfrage scheitern.
    Das Problem der Tragfähigkeit von Grenzen wird mit älteren Kindern nicht kleiner. Kinder, die von sich aus die gesetzten Grenzen nicht akzeptieren, kontern jetzt nicht nur mit schlechter Laune, sondern ziehen einfach zu ihren Kumpels um. Oder knacken das Zeitkonto am PC. Oder spielen heimlich. All das kann man verhindern – aber nur, wenn man aus dem Familienleben eine Art Anstalt macht, à la Amy Chua (die sich ja selbst als Oberfeldwebel bezeichnet). Kein Wunder, dass diese Form der Erziehung heute nur noch unter besonderen Umständen funktioniert – etwa bei hohem Wertekonsens in sehr religiösen Familien oder in kulturell »verinselten« Haushalten wie bei den Chuas (da erklärt eine Tochter allen Ernstes einem Schulfreund: »Ich bin Chinesin, ich habe keine Zeit, Spaß zu haben«).
    Dann ist da noch ein zweites Teufelchen mit einer simplen Frage: Und wie geht es weiter? Denn das Grenzensetzen ist eine Zeit lang ja womöglich eine effektive Strategie, aber sie hat eine Halbwertszeit. Die meisten Kinder erwartet ja ein Leben, in dem sie sich selbst werden Grenzen setzen müssen, und das will irgendwann eingeübt sein. Festgelegte Computerzeiten, klare Regeln, klare Ansagen – das kann bei einem 14-Jährigen ein Segen sein. Aber ist es auch der richtige Weg bei einem 16-Jährigen, der vielleicht in ein, zwei Jahren in einer Studentenbude leben wird, wo niemand mehr Computerzeiten festlegt – es sei denn er selbst? Da ist doch ein Jugendlicher, der gelernt hat, nach vier Stunden selbst den Ausschalter zu drücken, auf seinem Weg ein gutes Stück weiter als einer, dessen Programm nach zwei Stunden einfach abschaltet.
    Nur Grenzen, das kann es also nicht sein. Sie helfen eine gewisse Zeit lang als Schutz, aber damit Kinder zu verantwortlichen, selbstgesteuerten Menschen werden, braucht es mehr, als dass sie lernen, Grenzen einzuhalten. Ja, praktisch, wenn sie auch auf Kommandos hören – aber was wird aus ihnen, wenn die Kommandozentrale einmal geräumt ist?
    Balance halten
    Und damit sind wir – wieder einmal – bei der Balance. Denn der Blick in die evolutionäre Vergangenheit zeigt ja eines: Kinder hatten früher bestimmt mehr Grenzen. Aber : Sie hatten auch mehr Freiheit.
    Tatsächlich haben die letzten Kapitel genügend Gründe aufgeführt, warum wir Grenzen nicht ohne die andere Seite der Waagschale betrachten dürfen, die Freiheit. Nicht wenige Kinder nämlich leiden gar nicht an fehlenden Grenzen, sondern daran, dass sie auf ihrem Entwicklungsweg zu viele Grenzen erfahren – zu viel Anleitung, zu viel Förderung, zu viele Erwartungen, zu viel Struktur. Sie konnten nie lernen, sich auf

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