Menschenkinder
setzen? Zumindest aus der Neurobiologie hören wir dazu ein ganz klares Nein!
Angst hemmt das Lernen, sie wirkt wie Pattex auf das Denken. Vor allem die schwächeren Schüler lassen sich durch Angst den Wind aus den Segeln nehmen – gerade sie aber könnten beim Lernen Rückenwind gut gebrauchen. Und das nicht nur beim Lernen: Auch für das Selbstbild und die emotionale Entwicklung eines Menschen sind dauerhafte Versagenserfahrungen Gift.
In einer Neuorientierung liegt aber auch eine zweite Chance für die Schulen: nämlich ihre am Defizit orientierte Auslese zu überdenken. Denn anders als gerne behauptet werden die Kinder ja nicht nach ihren Stärken auf die verschiedenen Schultypen verteilt, vielmehr steht der Mangel Pate. Ein Kind kommt nicht deshalb auf eine Hauptschule, weil es in praktischer oder handwerklicher Hinsicht besonders begabt ist – es kommt auf die
Hauptschule, weil es schlecht schreiben und schlecht rechnen kann. Unser Schulsystem ist damit nicht auf die oft zitierte Vielfalt der Begabungen ausgerichtet, sondern auf eine Auslese bestimmter, nämlich intellektuell-kognitiver Begabungen (und die spiegeln noch oft genug einen zeitweiligen Entwicklungsvorsprung mancher Kinder wider).
Auseinanderdriftende Geschlechter
Die Kosten einer nicht auf die kindliche Entwicklung zugeschnittenen Schule trägt letztlich die Gesellschaft. Jedes Kind, das durch die Maschen der Schule fällt, fällt leichter durch die Maschen der Gesellschaft. Das spüren heute zuallererst die Jungs. Ihr Anteil an den Abiturienten sinkt unaufhaltsam und liegt schon seit vielen Jahren unter dem der Mädchen. Entsprechend steigt ihr Anteil in den Hauptschulen.
Nun sind Jungs nicht weniger intelligent als Mädchen, wo liegt also das Problem?
Sicher nicht nur daran, dass Jungs vor allem von Frauen unterrichtet werden. Nach der Iglu-E-2001-Studie hängen bei den Viertklässlern weder die Leistungen der Mädchen noch die der Jungen davon ab, welches Geschlecht der Lehrkörper hat. Eher schon scheint die Misere darin zu liegen, dass die Art des schulischen Lernens den Neigungen von Mädchen eher entspricht als denen der Jungs – Mädchen sind bei den in der Schule geforderten Aufgaben leistungsbereiter, fleißiger und ehrgeiziger als Jungen und sie bringen in sozialer Hinsicht auch zunächst mehr Kompetenz auf. Jungs dagegen haben mit ihrer höheren Impulsivität zu kämpfen, und auch ihr insgesamt stärkerer Bewegungsdrang macht das Leben in einer Schule nicht leichter. Dazu kommt, dass das Entwicklungstempo der Jungen eine Zeit lang hinter dem der Mädchen hinterherhinkt (gerade im sprachlichen Bereich, aber auch bei den sozialen Fähigkeiten).
Und dann kommt noch ein besonders schwerwiegendes Handicap dazu: Jungs tun sich in den ersten Schuljahren mit der Ordentlichkeit im Schnitt schwerer, und dafür werden sie gnadenlos abgestraft – die gute Heftführung gilt in vielen deutschen Klassenzimmern noch immer als Ausdruck von Hochbegabung.
Kurz: Jungs werden in der heutigen Schule vor allem mit ihren Schwächen konfrontiert. Mit ihren Stärken fahren sie gegen die Wand. Das ist, wenn man den eigentlichen Geschäftszweck der Schule betrachtet, eine Bankrotterklärung.
Angst in der Pädagogik?
Die Erziehungsideale der Eltern haben sich in den letzten ein bis zwei Generationen deutlich verändert. Eltern fördern heute bei ihren Kindern soziales Verhalten, Fairness und Teamgeist. Sie unterstützen das Selbstwertgefühl ihrer Kleinen, sie fordern aber auch schon von kleinen Kindern Mitgefühl und Verständnis für die Bedürfnisse der anderen (man denke nur an die eindringlichen Plädoyers auf Spielplätzen, das Schäufelchen zu teilen).
Und dann schicken sie ihre Kinder auf Schulen, die in ihrer Zielsetzung diesen Werten diametral entgegengesetzt sind. In Schulen, die die Schüler systematisch in Sieger und Verlierer einteilen, die die Überlegenen auszeichnen und die Unterlegenen brandmarken (ein unschöner Begriff, aber wer sich einmal in die Köpfe und Herzen der Kinder eindenkt, wenn in der dritten und vierten Klasse mit den Schulempfehlungen auch Karten fürs Leben verteilt werden, wird den Begriff weiter verwenden). Auch sieht ein großer Teil der deutschen Eltern die Schulerfahrungen ihrer Kinder insgesamt als negativ an. Die Neuorientierung der Schule ist also auch eine Chance, endlich die Angst als Mittel der Pädagogik in ihr Endlager zu schicken.
Entwicklungsgerechte Schule?
Wer müde ist, lernt schlecht. So
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