Menschenkinder
denn, sie lernen es in der Schule.
Der Schule sind also durch die Hintertür Aufgaben zugewachsen, für die sie mit ihrem traditionellen Bildungskonzept nicht ausreichend gerüstet ist. Zum einen muss sie immer mehr Kinder überhaupt erst einmal fit für die Bildung machen – Schönschrift in Ehren, aber man muss zuerst einmal stillsitzen können und verstehen, was der Lehrer da diktiert.
Zum anderen aber muss die Schule die Kinder stärker auf ihrem Weg ins Leben begleiten – sie muss Aufgaben der Sozialisation übernehmen, die früher anderweitig (im Elternhaus, in der Nachbarschaft, in der Kindergruppe) abgedeckt waren. Ganz banal: Die Schule muss viele Kinder heute nicht nur auf den Beruf vorbereiten, sondern auch aufs Leben. Damit die Schüler da bestehen können, muss die Schule Kompetenzen vermitteln, die über ein »Bestanden« in Mathematik, Englisch oder Erdkunde weit hinausgehen. Der schulische Bildungsauftrag ist klammheimlich durch einen Entwicklungsauftrag ergänzt worden.
Was das bedeutet, spüren zuallererst die Lehrer – mit ihren Bordmitteln können sie die Last der neuen Aufgaben kaum stemmen. Hilft da ein noch besserer Mathematikunterricht? Mehr Strenge? Didaktische Zaubertricks? In den traditionellen Schulfächern
ausgebildet, sind sie zunehmend in ganz anderen »Fächern« gefragt: als Sozialarbeiter, Psychologen, Erzieher, Ersatzeltern und Lebenshelfer.
Da hilft nur eines: Die Schule muss sich für ihre neuen Aufgaben rüsten – konzeptionell und personell. Da sind nicht nur Lehrer gefragt, sondern auch Kollegen aus den sozialen Fachgebieten, aus praktischen Bereichen, aus der Sozialarbeit, der Psychologie, Paten, große Brüder, große Schwestern. Da braucht es weniger passives Zuhören, dafür mehr aktives Mitmachen. Da braucht es sinnvolle Aufgaben für die Schüler, Aufgaben, die Selbstwertgefühl und soziale Kompetenz vermitteln, da müssen Kinder vielleicht mehr nach Begabung und Interessen zusammengebracht werden als nach Alter. Da braucht es vielleicht auch mehr Auslauf, mehr Schlaf (wir kommen darauf zurück) und ja – viel Freude am Ausprobieren neuer Ideen!
Denn die Aufgabe ist gewaltig. Und mancher wird fragen: Wenn die Gesellschaft auseinanderbricht — kann die Schule das denn kitten? Können Lehrer die soziale Frage lösen? Alleine sicherlich nicht. Aber wenn die Schule nicht ihren Teil übernimmt und mehr Brücken für die Kinder baut – wie sollen wir es als Gesellschaft dann schaffen?
Und da sind auch die Eltern gefragt. Was uns da noch an Diskussionen bevorsteht, zeigt die Erfahrung in Hamburg, wo ein gut organisierter Teil der Elternschaft mit klar definierten Partikularinteressen eben nicht bereit war, eine langfristig für alle sinnvolle Schulentwicklung mitzutragen. Wer meint, der Weg aus der Misere sei einfach, der macht sich etwas vor. Das Gegenteil ist der Fall: Nicht wenige Eltern hätten mit einer Amerikanisierung des deutschen Schulsystems überhaupt kein Problem – also mit Eliteschulen für die Privilegierten und recht zweifelhaften Schulen für den großen Rest. Da dies langfristig und eindeutig nachweisbar kein haltbares Modell für eine zukunftsfähige Gesellschaft ist, bleibt für mich eigentlich nur die Hoffnung, dass der Schulkampf von Hamburg nicht Schule machen wird.
Zu viele Versager
Sehen wir die Neuorientierung der Schule aber nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance. Als Chance, eine beklemmende Altlast abzulegen, nämlich ihr längst überholtes methodisches Konzept. Denn auch wenn die Schule sich auf die Fahnen geschrieben hat, Kinder fit zu machen für das Leben – bei einer erschreckenden Anzahl von Schülern erreicht sie das Gegenteil: Sie stempelt sie zu Versagern. Statt »fit« zu werden, nehmen diese Kinder aus der Schule eine Bürde mit ins Leben. »Es gibt Leute, die niemals gelernt haben, ihre wahren Stärken zu finden, weil man sie in der Schule zu lange mit ihren angeblichen Schwächen gequält hat«, sagt dazu Vera Birkenbihl, die Autorin von Stroh im Kopf?
Das faule Ei ist so alt wie die deutsche Schule: Die Leistungsstarken werden belohnt, die (in schulischen Belangen) Schwachen bestraft – durch schlechte Noten, Stress und Angst vor Sitzenbleiben und Versagen. Aber sind das wirklich die richtigen Rahmenbedingungen zum Lernen? Ist das Prinzip der beständigen Benotung, Beurteilung und Auslese in Wirklichkeit nicht eher ein Hemmnis für die kindliche Entwicklung? Ist es richtig, beim Lernen auf Angst zu
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