Menschenkinder
neuerdings auch ein bisschen) in sich. Und so beginnen nicht wenige Frauen die Familienphase mit der festen Überzeugung, dass sie das eigentlich draufhaben sollten. Sie verlangen ganz tapfer das von sich, was die Gesellschaft von ihnen erwartet: dass sie rechtzeitig zur Geburt das uralte Wissen anzapfen, das in jeder gesunden Frau schlummert, im Bauch, im Kopf oder in den Brüsten.
Das gehört ja zum ewigen Kreis der Natur, oder? Kaum ein Lämmchen kann sich über seine Mutter beklagen. Auch wer eine Hauskatze hat, sieht ja, wie genau die Katzenmama weiß, was da zu tun ist. Warum nur fühlt sich das Leben mit einem Baby oft so gar nicht nach Mutterschaf und Lämmlein an, so gar nicht selbstverständlich, natürlich und locker?
Das liegt an einer Tatsache, die leider systematisch verschwiegen wird, weil sie nicht in das seit Generationen kultivierte Mutterbild passt: Es gibt dieses automatische Wissen beim Menschen nicht.
Selbst bei den Tieren ist es in Wirklichkeit ein bisschen komplizierter. Denn komplett im Blut liegt das Elternsein nur den niedrigen Tierarten. Je komplexer das Leben einer Tierart, je vielfältiger die Umwelt, in der die Kleinen einmal klarkommen müssen, desto weniger ist das mütterliche Verhalten fest über Instinkte einprogrammiert. Beobachtet man etwa Affenmütter in modernen Zoogehegen beim Umgang mit ihren Kleinen (Väter spielen hier nur bei wenigen Affenarten eine Rolle), so zeigen sich schon gleich nach der Geburt erhebliche Unterschiede: Manche Mütter wissen sofort, was zu tun ist – etwa wie sie das kleine Bündel an ihren Körper nehmen, wie sie es stillen und beruhigen müssen. Andere sind erst einmal ratlos. Ein Gorilla-Weibchen versuchte sogar ihr Kind mit dem Hinterkopf voraus an ihre Brust zu drücken! Oft zeigen solche »inkompetenten« Mütter sogar regelrecht Angst vor dem neugeborenen Kind, manche benehmen sich auch aggressiv und beißen ihr Neugeborenes.
Durch systematische Beobachtungen und Experimente mit unterschiedlichen Aufzuchtbedingungen wissen Primatenforscher heute, was vonnöten ist, damit etwa eine Schimpansenmutter »kompetent« wird. Wichtig ist da zum einen die eigene Kinderstube. Schimpansinnen, die selbst gute, kompetente Mütter hatten, sind später mit größerer Wahrscheinlichkeit ebenfalls gute Mütter. Zum Zweiten aber bedarf es der Erfahrung. Nimmt man einer Schimpansin die Möglichkeit, in ihrer Kindheit und Jugend mit Schimpansenbabys zu spielen, so findet sie später zu ihrem eigenen Kind keinen Draht.
Tatsächlich ist das Mutter-Spielen die absolute Lieblingsbeschäftigung wild aufwachsender Schimpansenmädchen. Sie schwirren gerne um die Schimpansenmütter herum und versuchen diesen ihre Babys »abzuschwatzen«. Dazu lausen sie die Mutter so lange, bis sie ihnen ihr Baby zum Spielen überlässt. Die stolzen Mädchen versorgen ihren Schatz dann hingebungsvoll, wie sie es von den Großen kennen, so lange es nur geht.
Und beim Menschen? Da spielt Erfahrung ganz sicher auch eine wichtige Rolle. Studien zeigen, dass Menschenmütter, die schon Erfahrung mit kleinen Kindern mitbringen (etwa weil sie in einem entsprechenden Beruf arbeiten oder mit einem jüngeren Geschwisterkind aufgewachsen sind), von vornherein feinfühliger mit ihrem ersten eigenen Säugling umgehen können. Für Männer gilt dasselbe, auch sie können sich durch Erfahrung besser auf ihren Nachwuchs einstellen. Man kann das Leben mit einem Baby also tatsächlich als eine Art Kunst sehen – Übung macht den Meister.
Das Üben war bis in die jüngste Zeit in den Lebensweg eines Homo sapiens eingebaut – insbesondere Mädchen und junge Frauen waren ja ziemlich regelmäßig von Babys umgeben. Da wird der stressfreie Umgang mit den kleinen Geschöpfen sozusagen per Osmose erlernt. »Pass doch mal kurz auf meinen kleinen Benjamin auf, solange ich …« und schwupps bekommt man eine Lektion. Und die passende innere Belohnung dazu. Denn auch Menschenkinder – vor allem die Mädchen – fühlen sich zu kleinen Kindern hingezogen. Der Umgang mit kleinen Kindern macht ihnen Freude.
Heute müssen solche Erfahrungen oft genug in einer Art Crashkurs am eigenen Kind nachgeholt werden – und das dummerweise in der Zeit nach der Geburt, in der sowieso alles auf dem Kopf steht. Der Stoßseufzer der Ratgeber-Autorin Jan Hunt ist da nur allzu verständlich: »Wenn ein Baby nur allmählich auftauchen könnte! Sagen wir eine Stunde am ersten Tag, dann zwei am nächsten, und so
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