Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
muss der nicht selbst machen, dafür hat er seine Leute.«
»Aber Herr Tondo hat Sie aus dem Kühlhaus geholt?«
»Ja, er hat mich in sein Auto verfrachten lassen und wollte mit mir nach Hause fahren. Ich glaube, ich sollte dort meine Sachen holen, weil er mich in den nächsten Flieger nach Japan setzen wollte.«
Sie fing wieder an zu weinen und entschuldigte sich leise dafür.
»Das macht doch nichts. Bleiben Sie bitte hier sitzen, Frau Tanaka. Wir gehen rüber und klären mit Ihrem Großonkel, wo sich dieses ominöse Kühlhaus befindet. Unsere Frau Ritter hier kümmert sich um Sie.«
»Danke.«
Daijiro Tondo saß noch immer apathisch auf dem Fahrersitz seines Wagens, als die Kommissare sich ihm näherten. Der Notarzt blickte zu ihnen auf und zog die Schultern hoch.
»Er redet nicht mit mir. Normalerweise würde ich sagen, dass er einen Schock hat, aber er sieht auch aus, als hätte er große Schmerzen, die ich allerdings nicht einordnen kann, weil ich keine Verletzungen erkenne.«
»Können wir kurz mit ihm reden?«
»Klar. Vielleicht erzählt er Ihnen ja, wo es ihm wehtut.«
Damit kam er aus der Hocke hoch und trat ein paar Schritte zur Seite.
»Guten Morgen, Herr Tondo«, begrüßte Lenz den Mann kühl. »Wie es aussieht, wird nichts aus dem Lunch mit unserem Polizeipräsidenten. Und bevor wir jetzt in Details einsteigen, will ich wissen, wo sich das Kühlhaus befindet, in dem Sie die junge Frau festhalten.«
Der Kopf des Japaners drehte sich ein wenig zur Seite, so dass er dem Kommissar direkt in die Augen sehen konnte. Dann fuhr seine rechte Hand langsam nach oben und verschwand zwischen Sakko und Hemd. Hain, der die Bewegung aufmerksam verfolgt hatte, sprang nach vorn, griff sich den Arm des Mannes und schob ihn mit beiden Händen kraftvoll in seine ursprüngliche Position zurück.
»So was hab ich nicht so gerne«, zischte er, ließ mit der linken Hand Tondos Arm los und griff vorsichtig in die Innentasche des Sakkos. Nach einer kurzen Phase des Wühlens beförderte er etwas Kleines, Rechteckiges ans nicht vorhandene Tageslicht, das er sofort an Lenz weiterreichte.
»Ich bin Diplomat«, murmelte der Japaner kaum verständlich. »Demzufolge genieße ich diplomatische Immunität. Und nun lassen Sie, verdammt noch einmal, meinen Arm los.«
Lenz griff in die Innentasche seiner Jacke, kramte die Lesebrille heraus, setzte sich das Metallgestell umständlich auf die Nase und warf einen ersten Blick auf das Dokument, das er in den Händen hielt. Einer der uniformierten Beamten kam um den Wagen herum und assistierte ihm mit seiner Taschenlampe. Dann klappte der Hauptkommissar das kleine Büchlein auf und blätterte darin herum.
»Das ist unzweifelhaft ein Diplomatenpass«, stellte er nüchtern fest. »Ob er echt ist, müssen wir natürlich prüfen. Wenn er es allerdings ist, entschuldige ich mich schon jetzt für das, was Ihnen widerfahren ist, Herr Tondo.«
Er reichte dem Beamten hinter ihm das Dokument.
»Bitte sofort in die Kriminaltechnik damit. Die sollen das Ding so genau wie möglich untersuchen.«
»Geht klar.«
»Ein Anruf bei der Botschaft meines Heimatlandes würde genügen, um das zu klären«, erklärte Tondo von unten erbost. »Ich protestiere auf das Schärfste gegen diese Form der Kriminalisierung, die Sie hier betreiben.«
»Nun bleiben Sie mal auf dem Teppich, Herr Tondo. Ihr gutes Recht ist es, mit so einem Ding herumzuwedeln, und unser gutes Recht ist es zu überprüfen, ob es echt ist. Und die Zeit räumen Sie uns, bitte schön, ein.«
Der japanische Unternehmer schob den noch immer neben ihm knienden Hain herrisch zur Seite, setzte langsam den linken Fuß auf den Boden des Kiosks und zog sich am Dachholm aus dem Auto.
»Das können Sie gern so machen, allerdings riskieren Sie in dem Fall einige unschöne diplomatische Verwicklungen. Also lassen Sie mich jetzt besser gehen.«
Auf der anderen Seite des Autos erklang eine Frauenstimme. Der dazu passende Körper, der auf der Beifahrerseite gesessen und den Lenz bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal wahrgenommen hatte, schob sich langsam ins Blickfeld des Kommissars und richtete einige Worte auf Japanisch an Daijiro Tondo, deren inhaltliche Schärfe dem Zuhörer auch ohne jegliche Kenntnis der Sprache klar wurde.
Tondos Antwort bestand aus einem einzigen Wort, zumindest vermutete Lenz das wegen der Kürze seiner Replik, das jedoch die Frau so in Rage versetzte, dass sie sofort begann, den Unternehmer mit einer
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