Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
Arbeit nachgingen. Die bestand den Bildern zufolge vorrangig aus Telefonieren, dem Beladen von LKWs und dem Schreiben von Lieferscheinen und ähnlichen Papieren. Die Arbeiter in den Hallen trugen ohne Ausnahme weiße Kittel, während die Büroangestellten entweder Schlips und Kragen oder Kostüm als Garderobe zur Schau stellten. Das alles sah der jungen Frau vor dem Monitor ein wenig zu grob nach heiler Welt aus, denn sie wusste nur zu genau, wie sehr sich Außendarstellung und betriebliche Wirklichkeit von japanischen Unternehmen in Europa voneinander unterschieden.
Kopfschüttelnd zog sie einen Stift aus ihrem Rucksack, notierte sich die Telefonnummer und die Adresse der Firma, schaltete den Computer aus und bezahlte ihre Surfzeit. Danach verließ sie eilig das Internetcafé und saß kurz darauf in einem Bus, der sie ins Industriegebiet nach Waldau brachte.
11
»Was ist denn da drinnen plötzlich in dich gefahren?«, wollte Thilo Hain wissen, als die beiden Kommissare auf dem Weg zum Auto waren. Lenz reichte ihm die verblichenen Autogrammkarten, die er von der Frau bekommen hatte.
»Ja, und?«, wollte der Oberkommissar nach dem kurzen Studium der Bilder mit der Andeutung eines Schulterzuckens wissen.
»Diese kurzen, engen Hosen damals sahen nun mal brutal scheiße aus, aber das erklärt doch deinen Auftritt nicht.«
»Sind die Hosen das Einzige, was dir auffällt?«
Hain blieb stehen und betrachtete die Bilder etwas eingehender und ließ ein Kopfschütteln folgen.
»Ich habe wirklich keinen Schimmer, worauf du hinauswillst, mein großer Buana. Aber es wäre mir überaus recht, wenn du mich nicht so zappeln und stattdessen an deinen Erkenntnissen teilhaben ließest.«
Damit reichte er die Karten zurück.
»Die Größe der beiden, Thilo«, murmelte Lenz. »Es geht um ihre Größe.«
Sein Kollege schnappte sich erneut die Bilder.
»Eins zu null für dich«, erklärte er beeindruckt. »Darauf muss man erst mal kommen.«
»Deshalb bin ich ja auch ein guter Bulle, und du willst erst irgendwann mal ein guter Bulle werden.«
»Arschloch«, gab Hain mit gespielter Empörung zurück.
»Hallo, Lemmi, ich bin’s noch mal«, stieß der Hauptkommissar ins Telefon, nachdem sein Kollege den Motor gestartet und den Heizungsregler auf die höchste Stufe eingepegelt hatte.
»Ja«, hörte er aus dem kleinen Lautsprecher an seinem Ohr. »Kann ich noch was für dich tun?«
»Bestimmt, aber es ist nur eine Kleinigkeit. Stimmt es, dass die beiden Eberhardt-Brüder nicht sehr groß gewachsen sind?«
»Na ja, als Kopfballmonster hätte man sie im Fußball nicht unbedingt verkaufen können. Sie waren mehr so die Technikertypen. Klein, aber wieselflink. Aber um deine Frage exakt zu beantworten, Paul, sie sind wirklich nicht die Größten.«
»Wie groß würdest du sie etwa schätzen?«
»Zwischen 1,65 und 1,68. Warum willst du das denn wissen? Hast du sie nicht gefunden?«
»Nein. Aber genau kann ich zu deiner Frage auch noch nichts sagen. Ich ruf dich wieder an. Danke auf jeden Fall.«
Damit beendete er die Verbindung und drückte direkt im Anschluss eine Kurzwahltaste.
»Das wär ja ein Ding, wenn die beiden in der Laube ihres Alten verkokelt wären«, sinnierte Hain leise.
»Lenz, hallo«, begann der Polizist das nächste Gespräch. »Kann ich Dr. Franz sprechen?«
»Ja, klar, warten Sie bitte einen kleinen Augenblick«, kam es zurück, dann erklang eine der üblichen langweiligen Melodien.
»Hallo, Herr Lenz«, meldete sich der Rechtsmediziner mit erstaunlich guter Laune. »Können Sie mal wieder meinen Bericht nicht abwarten?«
»Nein. Doch. Es geht um die drei Toten von gestern Abend.«
»Ui!«, bemerkte Dr. Franz süffisant. »Und ich hatte schon gehofft, dass Sie mich endlich mal zum Essen einladen würden. Oder mir vielleicht eine Führung durchs Polizeipräsidium anbieten wollen.«
»Nein. Haben Sie schon angefangen?«
»Natürlich, was glauben Sie denn?«
»Und, können Sie schon irgendwas sagen?«
»Ja.«
»Was denn?«
»Die drei sind definitiv tot, Herr Kommissar.«
Lenz stöhnte auf.
»Haben Sie irgendwas genommen, Doc? So humorvoll habe ich Sie ja noch nie erlebt.«
»Nein, genommen habe ich nichts. Das, was Sie als humorvoll wahrnehmen, ist vermutlich die völlige Übermüdung. Ich war nämlich, seit wir uns gestern Abend voneinander verabschiedet haben, noch nicht eine Minute im Bett.«
»Warum das denn?«
»Weil ich so viel Spaß mit den drei Grillhäppchen hatte.«
Lenz schloss
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