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Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer

Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer

Titel: Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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sich gebracht und trippelte nun unsicher auf das große, offene Rolltor zu. Schon mehr als ein Dutzend Mal hatte sie sich während des Fußwegs gefragt, was sie eigentlich hier wollte, und war sich nicht mehr sicher, ob der Mut, mit dem sie in der Stadt aufgebrochen war, nicht vielleicht eher als Übermut anzusehen war. Natürlich war es für die junge Frau nach dem belauschten Gespräch der vergangenen Nacht klar, dass Tondo sowohl etwas mit dem Verschwinden von Hideo Asami als auch mit dem beklagenswerten Zustand ihres Freundes zu tun haben musste. Davon, was genau das sein könnte, hatte sie allerdings keine Ahnung, doch das wollte sie ja herausfinden; und am besten ließ sich das nun einmal vor Ort bewerkstelligen, als Mitarbeiterin. Nach einem heftigen Schlucken fasste sie ihren verbliebenen Mut zusammen und hielt mit festen Schritten auf die Tür mit der Aufschrift ›Büro‹ zu. Hinter dem Zugang wurde sie von einladender Wärme umfangen und blickte in einen freundlich gestalteten und hell erleuchteten Eingangsbereich. Links befand sich eine Ledersitzecke, die mit Hilfe von ein paar Bonsaipflanzen auf Heimat getrimmt worden war, und an die sich rechts ein Zierbrunnen anschloss.
    »Guten Tag«, wurde die Japanerin von einer blau gekleideten Landsfrau im etwa gleichen Alter und mit starkem Sapporo-Dialekt begrüßt. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich würde gerne hier arbeiten«, erwiderte Watane vorsichtig.
    »Schön. Haben Sie Ihre Bewerbungsunterlagen dabei?«
    »Nein, leider nicht. Ich dachte, es wäre besser, mich persönlich vorzustellen.«
    Die Frau hinter der Edelholztheke warf einen schnellen Blick nach rechts und nach links, beugte sich ein wenig nach vorn und näherte sich Watanes Gesicht.
    »Warum willst du ausgerechnet hier arbeiten? Es gibt so viele schöne Jobs auf der Welt, nur hier wirst du keinen davon finden.«
    »Auf der Internetseite sieht das aber gar nicht so aus. Da lachen alle Menschen bei der Arbeit.«
    Wieder scannte die Mitarbeiterin von Nipimex ihre Umgebung ab, bevor sie antwortete.
    »Bilder sind geduldig«, erklärte sie emotionslos. »Oder hast du schon einmal bei McDonald’s einen BigMac aus der Verpackung geholt, der so aussah wie auf den Fotos?«
    »Ich bin Vegetarierin«, stammelte Watane.
    »Wenn du einen guten Rat von mir willst, fahr zurück in die Stadt und such dir einen Job in einer Kneipe. So wie du aussiehst, sollte es für dich kein Problem sein, etwas zu finden.«
    »Aber du arbeitest doch auch hier«, wandte die Frau vor der Theke ein.
    »Nicht freiwillig, das kannst du mir glauben. Ich arbeite hier, weil mein Vater es so will. Er ist der Cousin vom Boss.«
    »Aha. Und was genau ist so schlimm, dass man hier besser nicht arbeiten sollte?«
    »Was genau so schlimm ist? Frag mich lieber, was hier halbwegs erträglich ist, dann sind wir schneller …«
    »Guten Tag«, ertönte in diesem Augenblick eine strenge Männerstimme von links. Beide Frauen fuhren erschreckt herum und blickten in das emotionslose, unbewegte Gesicht von Daijiro Tondo.
    »Was passiert hier? Ein privates Treffen?«
    »Nein, Herr Tondo«, beeilte sich die Empfangsdame schnell zu erklären. »Die Frau sucht Arbeit.«
    »Und das wird hier an der Theke besprochen?«, fragte er kühl.
    »Nein. Ich wollte nur herausfi…«
    »Es ist gut«, wurde sie von dem etwa 60-jährigen, überaus faltigen Mann unterbrochen, aus dessen Gesicht nicht einmal der Ansatz einer Regung herauszulesen war.
    »Dir wurde doch erklärt, wie du mit solchen Fragen umzugehen hast, oder irre ich mich?«
    Sein Ton hatte nun etwas zutiefst Beunruhigendes.
    »Nein, Herr Tondo, Sie irren sich natürlich nicht. Ich werde sofort die notwendigen Schritte einleiten.«
    Damit griff sie zum Telefonhörer und begann, eine Nummer zu wählen, wobei sie sich vermutlich vertippte und mit Schweißperlen auf der Stirn einen weiteren Versuch unternahm, der zu ihrer sichtbaren Erleichterung störungsfrei klappte. Das folgende Gespräch führte die verängstigt aussehende Frau so leise, dass weder Tondo noch die Besucherin vor der Theke etwas verstehen konnten.
    »Im zweiten Stock, die Tür gleich rechts neben dem Lift«, gab sie Watane mit und deutete auf den Fahrstuhl.
     
    »Ich suche Arbeit«, erklärte Watane Origawa der hochnäsig auf ihre Fingernägel blickenden Japanerin im grauen Kostüm hinter dem Schreibtisch, nachdem sie von ihr aufgefordert worden war, sich zu setzen.
    »Und warum reichen Sie dann nicht eine Bewerbung bei uns ein?

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