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Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer

Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer

Titel: Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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Es ist bei uns, wie in den meisten seriösen Unternehmen dieser Welt, nicht gerne gesehen, ohne vorherigen Termin hier zu erscheinen.«
    »Weil … es ist … ziemlich dringend«, stotterte die junge Frau. »Ich brauche … sehr schnell Arbeit.«
    »Aha. Wir stellen Sie schnell ein, und Sie sind genauso schnell wieder verschwunden«, gab die Managerin kühl zurück. »Das ist nicht gut für unser Geschäft. Wir brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf die wir uns verlassen können, die an einer dauerhaften Beschäftigung interessiert sind.«
    »Aber ich bin an einer dauerhaften Arbeit interessiert«, erwiderte Watane und fing dabei fast an zu heulen.
    »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, ich will wirklich arbeiten.«
    »Wie ist Ihr Name?«
    Watane nannte der Frau ihren vollen Namen.
    »Wo waren Sie denn bis jetzt angestellt?«
    »Nirgends. Ich habe studiert.«
    »Hier in Kassel?«
    Ein kaum wahrnehmbares Nicken.
    »Was haben Sie studiert, und warum haben Sie aufgehört damit?«
    »Betriebswirtschaft«, log Watane, »ich habe Betriebswirtschaft studiert. Leider hat mein Vater nach den traurigen Geschehnissen des 22. März seinen Arbeitsplatz verloren und kann mich nicht mehr unterstützen.«
    »Dann sollten wir besser ihm eine Arbeit geben. Was hat er angestellt? Hat er etwas gestohlen?«
    »Nein, natürlich nicht. Er war Ingenieur bei ›Tepco‹, dem Unternehmen, das …«
    »Ich weiß, was ›Tepco‹ macht«, wurde sie herrisch unterbrochen. »Ich weiß, was sie gemacht haben, was sie machen, nur was sie in Zukunft machen werden, das weiß ich nicht. Aber das ist auch nicht unser Thema.«
    Die etwa 45-jährige Frau sah ihrer Besucherin forschend in die Augen.
    »Wir haben Arbeit. Leute, die wirklich arbeiten wollen, sind bei uns immer willkommen, aber wir füttern keine Faulenzer und Tagediebe durch, das muss Ihnen klar sein.«
    Watane Origawa nickte ergeben.
    »Ich werde an jedem Tag fleißig sein.«
    Wieder der schneidende Blick von der anderen Seite des Schreibtischs.
    »Das müssen Sie nicht explizit betonen, das erwarten wir. Haben Sie schon einmal in einem Auslieferungslager gearbeitet? Es ist kein leichter Job.«
    »Direkt in einem Lager habe ich noch nicht gearbeitet, aber ich bin zäh und viel stärker, als ich aussehe.«
    Nun huschte die Andeutung eines Lächelns über die schmalen Lippen der Nipimex-Mitarbeiterin.
    »Das werden wir sehen. Wann können Sie anfangen?«
    »Morgen. Am liebsten würde ich gleich morgen anfangen.«
    Ein weiterer langer, taxierender Blick.
    »Gut, versuchen wir es.«
    Dann kam ihre Ansage zu den Arbeitszeiten und dem im Verhältnis dazu geradezu lächerlich geringen Verdienst.
    »Natürlich können wir dich nicht offiziell bei uns anstellen«, verfiel sie plötzlich ins Du. »Wenn du BWL studiert hast, muss ich dir ja nichts über die ungerechten und geschäftsschädigenden Bestimmungen und Regelungen für Arbeitnehmer in Deutschland erzählen, die sich kein kostenbewusst denkendes Unternehmen jemals leisten können wird. Ist das ein Problem für dich?«
    »Nein«, sprudelte es aus Watane heraus. »Überhaupt nicht. Vielen Dank für Ihr Vertrauen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden. Ich werde pünktlich und zuverlässig sein.«
    »Schön. Dann sei morgen um 6.45 Uhr hier. Du meldest dich bei Herrn Dasoko, der wird alles Weitere veranlassen.«
    Die Frau hinter dem Schreibtisch legte die Stirn in Falten und verengte die Augen zu flachen Schlitzen, bevor sie weitersprach.
    »Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind wichtig in unserem Unternehmen, aber noch viel wichtiger sind Integrität, Loyalität und vor allem anderen Diskretion. Wir verlangen von dir, dass nichts von dem, was du hier siehst oder hörst, den Weg nach draußen findet.«
    Ihr gesamter sich nach vorn beugender Körper schien diese Forderung untermauern zu wollen.
    »Hast du das verstanden?«
    »Selbstverständlich. Ich würde nie über irgendetwas reden, was mit der Firma zu tun hat, das verspreche ich Ihnen.«
    »Dann bis morgen. Komm ausgeschlafen und nüchtern.«
    »Ja«, erwiderte Watane, erhob sich und bewegte sich, mit dem Gesicht zum Schreibtisch Richtung Tür.
    »Vielen Dank noch mal. Ich werde Ihr Vertrauen ganz sicher nicht enttäuschen.«
    Mit einer ausgesucht devoten, sehr höflichen japanischen Grußformel verließ die junge Frau das Büro und stieg ein paar Sekunden später durch die offenstehende Fahrstuhltür.
    Unten angekommen, wandte sie sich nach rechts und hielt

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