Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
Einkäufer, mit dem ich mal was hatte, hat mir erzählt, dass wohl schon das eine oder andere Lokal abgebrannt ist, weil sich die Eigentümer geweigert haben zu bezahlen.«
Watane sah ihre neue Bekannte mit großen Augen an.
»Das gibt’s doch gar nicht«, bäumte sie sich vor Wut regelrecht auf, »das ist ja total gemein.«
»Aber das ist noch längst nicht alles«, fuhr Yoko fort. »Es gibt einen eigens dafür angestellten Schlägertrupp, der den Restaurantbesitzern Angst machen soll mit seinem Auftreten, und der mindestens einmal im Monat jedes Lokal besucht. Und das klappt eigentlich immer, meinte zumindest der Einkäufer.«
»Das ist so verdammt ungerecht«, erwiderte Watane, noch immer voller Wut in der Stimme. »Da rackert sich ein Unternehmer den ganzen Monat ab, nur um am Ende davon ein paar Verbrechern einen Teil seines Gewinns in den Rachen zu stecken.«
»Einen großen Teil, um es genau zu sagen«, wurde sie von Yoko verbessert, die nach ein paar weiteren Sekunden des Nachdenkens den Wagen startete.
»Wo willst du hin?«
»Ich habe eine Entscheidung getroffen«, gab die Frau aus Sapporo zurück.
»Und wie sieht die aus?«
»Die sieht so aus, dass ich meinen Job ohnehin verlieren werde, egal, was ich mache. Wenn du allein zur Polizei gehst, wird das vielleicht nicht reichen, aber mit mir als Insiderin sind wir bestimmt ein gutes Zeugengespann.«
»Mensch, Yoko, das ist echt klasse«, freute sich Watane aufrichtig, wurde im gleichen Augenblick jedoch wieder nachdenklich. »Aber was wird aus deinen Vorbehalten wegen der Familie und so? Bist du wirklich sicher, dass du das machen willst?«
»Ganz sicher«, kam es von der anderen Seite. »Ich glaube sogar, dass ich noch nie in meinem Leben bei irgendwas so sicher war.«
Damit legte sie den ersten Gang ein, ließ die Kupplung kommen und rollte auf die Ausfahrt zu. Während sie sich nach links und rechts vergewisserte, um gefahrlos auf die Hauptstraße einbiegen zu können, bemerkte sie, dass sich so etwas wie Erleichterung in ihr breitmachte. Was sie ebenso wenig wie ihre Beifahrerin bemerkte, war der dunkelgraue Mittelklassewagen, der kurz nach ihnen ebenfalls den Autohof verließ und auf die Hauptstraße rollte.
*
Polizeiobermeister Werner Freisinger stellte die Kaffeetasse, die er sich gerade in der Teeküche frisch aufgefüllt hatte, neben einem der vielen Monitore an der Theke im Eingangsbereich des Polizeipräsidiums Nordhessen ab. Dann hob er den Kopf, weil seine Aufmerksamkeit auf ein Geräusch vor dem Hauptportal gelenkt wurde. Der etwa 45-jährige, erfahrene Schutzpolizist erkannte zwei Frauen, die direkt im Halteverbot vor dem Präsidium ihr Auto geparkt hatten und dabei waren, den japanischen Kleinwagen zu verlassen. Noch bevor Freisinger sich entschließen konnte, vor die Tür zu treten und den Frauen zu erklären, dass ihr Verhalten sie teuer zu stehen kommen könnte, schoben die beiden sich durch die gläserne Eingangstür und nahmen direkten Kurs auf seine Position. Im Näherkommen erkannte der Polizist, dass es sich um zwei Asiatinnen handelte.
»Guten Abend«, begann die kleinere der beiden aufgeregt und mit erstaunlich schwachem Akzent, »wir möchten gerne eine Anzeige machen.«
»Hmm«, gab Freisinger gelassen zurück, während er die beiden Frauen musterte.
Zwischen 20 und 25 Jahre alt, den Gesichtszügen nach aus Japan stammend, vernünftige Kleidung. Nicht der zuweilen billige, laute Auftritt, den er schon mit Prostituierten aus diesem Teil der Welt erlebt hatte.
»Das ist schön«, erwiderte der Polizist ruhig, »und ich werde mich sehr gerne um Ihr Anliegen kümmern. Allerdings muss ich Sie vorher bitten, Ihren Wagen auf einem der freien Parkplätze gegenüber abzustellen.«
Er deutete auf die große Fläche auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, wo sich zwischen den geparkten Autos eine Menge freier Plätze auftaten.
»Aber es ist wichtig«, erklärte ihm nun die andere Frau mit deutlicherem Akzent. »Es geht vielleicht um Leben und Tod.«
»Das ist, wie gesagt, kein Problem. Aber entfernen Sie bitte zuerst Ihren Wagen aus dem Bereich, der ausschließlich für Einsatzfahrzeuge reserviert ist. Vorher kann ich leider nichts für Sie tun, im Gegenteil. Ich müsste zuerst veranlassen, dass Ihr Wagen abgeschleppt wird; und das wollten Sie bestimmt nicht, oder?«
Die beiden Frauen sahen sich geschockt an.
»Ja, das machen wir. Ich fahre das Auto rüber auf den Parkplatz, alles klar. Und dann kommen
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