Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
wir zurück und geben eine Anzeige auf.«
»Genau so machen wir es, meine Damen«, gab der Polizist unverbindlich zurück. »Ich bewege mich garantiert nicht von hier weg und warte mit angehaltenem Atem an exakt der gleichen Stelle auf Ihre Rückkehr.«
Watane Origawa und Yoko Tanaka tauschten einen unschlüssigen Blick, weil beiden aufgefallen war, dass der Tonfall des Polizisten deutlich ironische Züge trug. Dann jedoch strebten sie hintereinander auf die Glastür zu und verließen kopfschüttelnd das Gebäude. Werner Freisinger sah ihnen nach, bis sie in ihr Auto eingestiegen waren, nippte kurz an seinem Kaffee und setzte sich.
»Der war nicht nett«, fasste Watane ihre Eindrücke der letzten Minuten zusammen, während Yoko versuchte, den Kleinwagen in eine eigentlich riesige Parklücke zu bugsieren.
»Das fand ich auch. Bei dem will ich meine Aussage nicht machen. Ich will einen anderen Polizisten, der netter zu uns ist.«
»Genau. Am besten wäre eine Frau. Meinst du, die haben Frauen da drin?«
»Bestimmt.«
Daijiro Tondos Großcousine hob den Kopf, sah nach links und nach vorne, stellte zufrieden fest, dass ihr die Parkposition des Kleinwagens gefiel, drehte den Zündschlüssel um und zog ihn aus dem Schloss. Im gleißend hellen Scheinwerferlicht eines direkt neben ihnen einparkenden Autos sah sie in Watanes Gesicht und lächelte dabei.
»Lass es uns machen«, rief sie entschlossen. »Lass uns dafür sorgen, dass meinem Großonkel das Handwerk gelegt wird.«
Mit diesen Worten schickte sie ein kehliges, lautes Lachen Richtung Beifahrerseite, drehte sich nach links, zog an der Entriegelung ihrer Tür und wollte sie nach außen schieben, doch dazu kam sie nicht mehr. Gleichzeitig mit ihrer Bewegung erkannte sie aus dem Augenwinkel, dass eine dunkel gekleidete Gestalt zwischen ihrem und dem nach ihnen angekommenen roten Auto stand. Und sie erkannte zwei weitere, ebenfalls dunkel gekleidete Personen, die um ihren Wagen herum auf die Beifahrerseite zurannten. In diesem Augenblick wurde ihr die Tür aus der Hand gerissen. Eine schwarze Faust griff nach ihren Haaren, zog sie daran aus dem Sitz, schleuderte sie in den frisch gefallenen Schnee, und im nächsten Moment wurde ihr Kopf von einer heftigen Explosion erschüttert. Bunte Sterne tauchten vor ihren Augen auf und verschwanden im selben Augenblick. Bevor die junge Frau bewusstlos wurde, hatte sie den Eindruck, Blut im Mund zu schmecken. Das Allerletzte, was sie wahrnahm, war Watane Origawas Stimme, die aus unvorstellbar großer Entfernung ihren Namen rief.
23
»Verdammt, Thilo, das geht nicht mehr als Zufall durch. Irgendwas läuft ganz brutal schief mit den Japanern in Kassel.«
Thilo Hain schickte einen weiteren angeekelten Blick in Richtung des aufgedunsenen Körpers auf dem Bett.
»Da bin ich absolut deiner Meinung, Paul, auch wenn bei dem hier ausnahmsweise mal keine Fingerglieder fehlen. Allerdings sollten wir, bevor wir in hysterischen Aktivismus verfallen, wenigstens herauszufinden versuchen, um wen es sich bei dem Knaben hier handelt.«
»Und wie genau stellst du dir das vor?«
»Wir drehen hier jedes Hemd und jede Hose auf links. Vielleicht finden wir dabei seinen Pass oder irgendein anderes Dokument, das uns einen Hinweis auf seine Identität gibt.«
»Du meinst, wir sollten das erledigen, bevor die Spurensicherung durchgegangen ist?«
»Das meine ich, ja. Heini sagte mir eben am Telefon, dass er nicht weiß, wo ihm der Kopf steht, weil einfach zu viel zu tun ist. Und wir wollen nicht bis morgen früh warten, bis sich vielleicht einer seiner Jungs oder er persönlich hierher bemühen konnte. Also?«
Lenz sah seinen Kollegen zweifelnd an.
»Das könnte uns einen Haufen Ärger einbrocken«, gab er leise zurück.
»Ich habe nichts gehört oder gesehen, wenn mich jemand fragt«, kam es aus Richtung des Bettes, wo Angela Weber weiterhin vor der Leiche kniete und ihrer Arbeit nachging.
Noch immer ein wenig verunsichert, sah der Hauptkommissar sich um, traf jedoch kurz darauf eine Entscheidung.
»Also los«, knurrte er.
Sorgfältig und immer mit dem Versuch, möglichst keine potenziellen Spuren zu vernichten, durchsuchten die Polizisten innerhalb der nächsten 15 Minuten die Räume der kleinen Wohnung, ohne auch nur den geringsten Erfolg zu erzielen.
»Scheiße«, fluchte Hain schließlich. »Hier gibt es wirklich nichts, was auf seine Identität hinweist.«
»Das stimmt«, bestätigte Lenz säuerlich.
»Vielleicht«, meldete
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