Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
hatte.
»Jetzt noch diese paar Kisten, dann war es das. Der Boss ist schon mit seiner … ach, was weiß ich, was sie für ihn ist, abgefahren. Und wir sollten auch sehen, dass wir von hier verschwinden.«
»Was ist mit der anderen Tussi? Müssen wir uns noch um die kümmern?«
Kurze Stille.
»Verdammt, nein. Länger als ein paar Stunden macht die es in der Kälte hier garantiert nicht mehr, wenn sie nicht sowieso schon abgenibbelt ist. Also, bring das Zeug weg und komm.«
Obwohl Watane die in ihrer Muttersprache ausgestoßenen Worte akustisch verstehen konnte, erschloss sich ihr der Sinn nicht zur Gänze. Auch als das Tor mit einem kräftigen Schlag zugezogen wurde und das Licht erlosch, konnte sie die daraus erwachsenen Konsequenzen für sich selbst nur bedingt einordnen. Und obwohl der Körper der jungen Frau wegen der Kälte bedenklich zitterte, rief das bei ihr keinerlei Besorgnis hervor.
Das begeisterte Klatschen vieler Hände.
Willkommen in Osaka, meine Damen und Herren. Wir bedanken uns, dass Sie mit Japan Airlines geflogen sind, und wünschen Ihnen einen angenehmen …
In Watanes Kopf fühlte es sich an, als hätte sie Drogen genommen. Das hatte sie öfter gemacht, viel zu oft eigentlich, wie sie sich irgendwann einmal eingestehen musste. Speziell die Zeit in England war diesbezüglich voller neuer Eindrücke. Haschisch war schon in Japan ihr ständiger Begleiter gewesen, doch in London und Manchester hatte sie auch Kokain und jede Form von Ecstasy ausprobiert. Bis sie eines Morgens neben einem Mann wach geworden war, der sie im Drogenrausch übel zugerichtet hatte. Von diesem Moment an war mit aller Konsequenz Schluss gewesen. Wieder mal ein völliger Neubeginn. Umso mehr war sie nun darüber erstaunt, es offenbar doch noch einmal ausprobiert zu haben.
Was könnte das sein , fragte sie sich. Koks? Nein, zu müde dafür. Ecstasy? Das Gleiche. LSD? Zu wenige Farben. Also dürfte es Haschisch sein.
Während die Frau noch darüber sinnierte, welcher Stoff wohl dieses angenehme Gefühl in ihr ausgelöst haben könnte, bemerkte sie, dass ihr rechter Daumen den Weg in ihren Mund gefunden hatte.
Wie überaus angenehm!
Sie fing an zu grinsen, nuckelte zufrieden und summte dabei jenes japanische Kinderlied, das ihre Mutter ihr als Kind immer vorgesungen hatte, wenn sie ins Bett musste. Den Text hatte sie irgendwie nicht mehr parat, aber die Melodie waberte dafür umso präziser durch ihren Kopf.
Herrlich, so müde zu sein. Wie ich mich darauf freue, endlich einzuschlafen.
Gute Nacht, Mama.
30
»Guten Morgen, Herr Röder«, begrüßte Lenz den auf dem Bett liegenden Mann im schwachen Schein der Notbeleuchtung über der Tür. Der hob kraftlos den rechten Arm und zog mit einer schleppenden Bewegung die durchsichtige Atemmaske vom Mund.
»Guten Morgen, Herr Kommissar. Schön, Sie und Ihren Kollegen zu sehen.«
»Das finde ich auch. Können wir Ihnen ein paar Fragen stellen, Herr Röder?«
»Natürlich, gerne. Wir müssen nur leise sein dabei, weil meine Frau schläft. Sie ist …«
»Du immer mit deinen Vermutungen, Medard«, kam es ebenso leise wie tadelnd vom anderen Bett, auf dem Petra Röder in der gleichen Haltung wie ihr Mann lag.
»Oh. Und ich dachte wirklich, du wärst eingeschlafen, Petra.«
»Falsch gedacht.«
Auch sie streifte sich die Maske vom Gesicht und begrüßte mit ebenso krächzender Stimme wie ihr Mann die Kommissare.
»So schnell sieht man sich also wieder.«
»Ja, leider. Uns wäre es deutlich lieber gewesen, Sie gesund und munter in Ihrem Haus anzutreffen. Geht es Ihnen so weit gut?«
»Wenn man davon absieht«, erwiderte die Frau erstaunlich aufgeräumt, »dass wir überfallen und gefesselt wurden, ein paar Minuten nur sehr schwer atmen konnten, im Anschluss von ziemlich derb agierenden Feuerwehrleuten durchs Haus geschleift wurden und jetzt im Krankenhaus liegen, eigentlich ganz gut.«
»Das ist erfreulich, und daran sollte sich jetzt auch nichts mehr ändern«, gab Hain aufmunternd zurück. »Aber natürlich ist es für uns zunächst von primärem Interesse zu erfahren, wie sich der Überfall auf Sie genau abgespielt hat. Dabei sind wir an jedem noch so kleinen Detail interessiert.«
Petra Röder bewegte den linken Arm, bis sie die Kante des Bettes erreicht hatte, auf dem ihr Mann lag, griff nach seiner Hand und verschränkte die Finger darin.
»Mach du das mal, Medard«, erklärte sie gütig, aber mit dem ihr eigenen Schalk im Unterton. »Ich kann ja jederzeit
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