Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
unter Kontrolle zu bekommen?«
»Halt deinen Mund!«, fuhr Tondo sie barsch an. »Sie sitzt in spätestens vier Stunden in einem Flugzeug, das sie nach Japan bringen wird. Dort kümmert sich ihr Vater um sie. Also geht von ihr keine Gefahr aus. Vermutlich wird sie schon in der nächsten Woche mit einem jungen Mann verheiratet, der ihrem Vater dient, sodass in spätestens zwei Wochen der Spuk, den sie ausgelöst hat, vorbei ist.«
»Und wie geht es hier weiter?«
»Wie soll es schon weitergehen? Wenn sich die Behörden beruhigt haben, fangen wir da wieder an, wo wir aufgehört haben. Bis dahin lassen wir es etwas ruhiger angehen, aber das sollte kein Problem darstellen.«
»Der Umsatz wird massiv einbrechen, davon kannst du ausgehen.«
»Ja, ich weiß. Aber unsere Kassen sind prall gefüllt, und wir können es uns gut leisten, ein paar Monate kürzerzutreten.«
Kürzertreten , wie harmlos das klang. Yoko öffnete für ein paar Sekunden die Augen, bekam jedoch nicht mehr zu sehen als das dunkle Lederpolster der Rückbank. Sie zog und drückte mit aller Kraft an den Riemen, die ihre Arme zusammenhielten, hatte jedoch nicht den Hauch einer Chance, sie zu zerreißen. Ihre schmalen, filigranen Finger tasteten nach dem Seil, bekamen es aber nicht zu greifen, weil die Handgelenke zu eng beieinanderlagen.
Wie werde ich diese Scheiße nur los? , überlegte sie fieberhaft.
Im ganzen Fond des Wagens gab es nichts Scharfkantiges, davon war sie fest überzeugt. Immerhin gehörte der Wagen zu den bestverkauften Luxuslimousinen in den Vereinigten Staaten, und die sehr strengen Verbraucherschutzgesetze dort würden es garantiert nicht tolerieren, wenn irgendwo etwas potenziell Gefährliches herausschauen würde.
Nein, das ist nicht der richtige Weg. Ich muss versuchen, das Seil auf andere Art loszuwerden.
Wieder spannte die junge Japanerin die Handgelenke gegeneinander, doch auch dieser Versuch scheiterte. Musste scheitern, weil das Band keinerlei Dehnung erlaubte.
Scheiße , fluchte sie innerlich.
Als Nächstes führte sie die Hände sehr, sehr langsam an ihrer Brust und dem Hals vorbei nach oben, bis sie den Bereich der Fessel mit ihrem Mund erreicht hatte.
Pause. Lauschen. Das Gespräch auf den Vordersitzen war noch immer in vollem Gang.
Nun fletschte Yoko die Zähne, drückte die Stelle, an der das Band saß, in ihren Mund und prüfte mit der Zunge die Beschaffenheit der Fessel.
Kunststoff. Dicker, harter Kunststoff. Vermutlich ein Kabelbinder.
An denen arbeiten sich Demonstranten und Verbrecher auf der ganzen Welt erfolglos ab , dachte sie entmutigt, fing jedoch trotzdem an, auf der Plastikschlaufe herumzukauen.
Bäh, schmeckt das ekelig.
Ihre Schneidezähne pressten sich über den Kanten zusammen, konnten das Material aber nicht greifen. Immer wieder flutschte ihr das Band durch die Zähne.
Verdammt, ich sabbere.
Mit den Schneidezähnen, das bemerkte sie schnell, hatte sie keine Chance. Also drehte die Asiatin den Kopf um ein paar Grad nach links und versuchte es mit den Eckzähnen.
»Deine Frau ist ein zu großes Risiko, Daijiro«, drang es von vorn an ihre Ohren, »und das weißt du auch. Wenn sie den Mund aufmacht, kann das für alle Beteiligten fatale Folgen haben.«
»Sie wird ihn halten. Vertrau mir.«
»Das sagst du immer wieder, und bis jetzt hat das auch geklappt. Aber wir hatten auch noch nie eine so brenzlige Situation zu überstehen, wie die gegenwärtige. Das macht mir gehörig Angst.«
»Was soll ich deiner Meinung nach tun? Was wäre dein Vorschlag?«
»Setz sie in die gleiche Maschine wie diese Schlampe da hinten. Dann hätten wir ein für alle Mal Ruhe.«
»Das könnte dir so passen.«
Den ersten Millimeter hatte Yoko durchgebissen. Einen von mindestens zwölf. Aber wenn es ihr bei einem gelungen war, würden auch die anderen elf zu knacken sein, dessen war sie sicher.
Obwohl mir meine Zähne jetzt schon ziemlich wehtun.
Wie ein Hase grub sie die beiden Eckzähne immer wieder in den mittlerweile triefnassen Kunststoffriemen. Auch im Ärmel ihrer Jacke hatte sich schon jede Menge Speichel gesammelt.
Es geht schweinemühsam, aber immerhin geht es.
Während sie wieder und wieder mit den Zähnen über die Fessel scheuerte, schoss ihr ein deprimierender Gedanke durch das Gehirn.
Was, wenn ich es nicht geschafft habe, bevor wir dort angekommen sind, wo Tondo mit mir hin will?
Mit noch größerer Kraftanstrengung und noch schneller schuftete sie weiter und stellte kurz darauf zufrieden
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