Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
einschreiten, wenn du Unsinn erzählst.«
Ihr Mann erwiderte den Händedruck ebenso liebevoll, holte tief Luft und begann mit seiner Schilderung.
»Wir sind ungefähr um 22:30 Uhr ins Bett gegangen, wie das im Winter bei uns üblich ist. Petra liest mir dann gewöhnlich noch etwas vor, bevor wir einschlafen.«
Der Mann auf dem Bett spürte die irritierten Blicke der Polizisten eher, als dass er sie sehen konnte, und fing leicht an zu grinsen. Das Wort dazu ergriff jedoch Petra Röder.
»Ja, das klingt in Ihren Ohren vermutlich ungewöhnlich, dass eine Blinde ihrem Mann die Gutenachtgeschichte vorliest, aber bei uns ist das eine lieb gewonnene Tradition geworden. Natürlich kann ich nicht das erste beste Buch zur Hand nehmen und loslegen, doch es gibt mittlerweile eine wirklich ansehnliche Zahl von Veröffentlichungen, die als Ausleihe in Brailleschrift zu haben ist.«
»Aha«, machte Lenz.
»Ja, wie auch immer«, fuhr Röder fort, »es war auf jeden Fall so, dass wir um 23:15 Uhr schon tief und fest geschlafen haben. Irgendwann gegen 01:30 hat meine Frau, die einen deutlich leichteren Schlaf hat als ich, mich geweckt, weil sie meinte, dass ein Lastwagen sich auf dem Hof zu schaffen machen würde. Das an sich ist jetzt nicht wirklich ungewöhnlich, weil der Steinmetz von gegenüber manchmal um diese Zeit noch auf- oder ablädt, Petra war sich aber sicher, dass es nicht der Kleinlaster des Steinmetzes war, sondern ein anderer. Ein Fremder.«
»Das haben Sie wirklich gehört, Frau Röder?«
»Klar. Sie können verschiedene LKW-Modelle auseinanderhalten, wenn Sie sie sehen; ich mache das halt über den Klang des Motors.«
»Gut«, setzte Röder wieder an. »Als klar war, dass es jemand Fremdes war, der auf dem Hof herumfuhrwerkte, habe ich mir etwas angezogen und bin in die Küche, ans Fenster. Aber leider habe ich nur den vorderen Teil eines Kleinlasters sehen können, also bin ich nach unten gegangen, was, im Nachhinein betrachtet, nicht sehr intelligent gewesen ist.«
»Hmm«, machte der Hauptkommissar. »Und wie ging es weiter?«
»Der LKW stand mit dem Heck direkt an der Lagerhalle und war so geparkt, dass ich unter der Ladebordwand durchkriechen musste, um etwas sehen zu können. Dabei habe ich als Antisportler mich ziemlich blöd angestellt.«
»Das heißt?«, wollte Hain wissen.
»Nun, ich hatte mir vorgenommen, nur zu erkunden, ob die Leute berechtigterweise dort waren oder nicht. Aber leider bin ich bei dem Versuch im Schnee ausgerutscht und der Länge nach hingeschlagen.«
»Was die Leute gesehen haben?«
»Klar haben die mich in diesem Augenblick gesehen. Und mir ohne großes Federlesen einen Revolver an die Brust gedrückt.«
Er holte tief Luft.
»Was mir als Erstes dazu einfiel, war Ihre Frage, ob die beiden Brüder etwas mit Asiaten zu tun hatten, weil diese Männer garantiert Asiaten waren. Und sie haben nur radebrechend Englisch gesprochen.«
»Wie ging es weiter?«
»Vielleicht«, mischte Petra Röder sich ein, »kann ich an dieser Stelle übernehmen. Ich hätte meinen Mann gerne daran gehindert, auf den Hof zu gehen, aber er ist manchmal ein solch sturer Dickkopf, dass ich mich frage, wie ich das Leben mit ihm überhaupt ertrage.«
Sie lachte kurz auf.
»Nein, so schlimm ist es auch wieder nicht. Also, kurz nachdem Medard unten aus der Tür war, habe ich Stimmen gehört. Weil ich kein Englisch spreche, konnte ich den Inhalt zwar nicht verstehen, aber es war klar, dass jemand ihm Befehle erteilte. Ich wollte zum Telefon und die Polizei anrufen, war aber leider zu langsam, denn schon kurz darauf stand mein Mann in der Tür und hat mich gebeten, ruhig zu bleiben. Dann wurden wir an den Heizkörper im Schlafzimmer gefesselt, und die Männer, es waren zwei, sind wieder verduftet.«
»Die haben Sie an den Heizkörper gefesselt?«, fragte Lenz irritiert. »Mein Kollege vor Ort hat mir erzählt, Sie seien ans Bett gefesselt worden.«
»Nein, das ist nicht richtig, wir wurden an den Heizkörper gefesselt.«
»Nebeneinander?«
»Direkt nebeneinander, ja.«
»Wann haben Sie bemerkt, dass es nebenan brennt?«
»Kurz nachdem die Leute weggefahren waren. Zuerst roch es nur nach Grillanzünder, doch kurz darauf zogen schon die ersten Schwaden durch unsere Wohnung.«
Sie hustete ein paar Mal.
»Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, dass die Männer mit Benzin oder so was den Brand ausgelöst haben. Und zwischen der Halle und unserem Hausflur gibt es eine alte Holztür, die zwar von
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