Menschenskinder
beiden Jungs allerdings nur in der Vorweihnachtszeit sehen ließen, wenn für die Winterfeier geprobt wurde. Nach Schluss der Veranstaltung gab es nämlich für alle Teilnehmer Nikolaustüten. Die Mädchen, und hier speziell Stefanie, brachten es dagegen zu sportlichen Ehren, dokumentiert in mindestens einem Dutzend Urkunden. Zu jener Zeit hatte ich mich natürlich immer unter den Zuschauern befunden, wenn mal wieder unter Mitwirkung meiner Nachkommen die Ehre des TSV Bad Randersau verteidigt werden musste. Damals entsprach die ganze Anlage mehr den Gegebenheiten eines dörflichen Bolzplatzes. Wenn’s stark geregnet hatte, fiel das Training aus und das Clubhaus war die vergrößerte Ausgabe einer Würstchenbude, doch das ist Lichtjahre her. Inzwischen hat man alles neu angelegt, um- und ausgebaut, irgendwann auch feierlich eingeweiht, nur – ich war nie wieder dort gewesen und wusste nicht mal, wie man mit dem Auto hinkommt, sofern man nicht die normale Zufahrt zum Parkplatz benutzen will. Und genau das war der springende Punkt.
»Irgendwie muss man diese Gaststätte ja auch von hinten anfahren können«, behauptete Hannes, »und diesen Weg musst du herausfinden!«
Das galt mir und bedeutete, ich würde morgen einen längeren Spaziergang unternehmen müssen. Dabei hatte ich bisher nur die fünf Kilo Kartoffeln abgekocht, dachte mit Grausen an das Zeit raubende Schnippeln von Zwiebeln, Tomaten, Gurken – alles in ungewohnten Mengen –, und Kuchen sollte ich ja auch noch backen.
Karen hob den Finger. »Zwischenfrage, fällt mir gerade ein: Habt ihr eigentlich genug zum Werfen? Ich hab’ nämlich nur eine alte Obstschale, zwei Becher ohne Henkel und seit gestern meine Bowleschüssel. Lisa hat ihre Barbie drin gebadet.« Ein tiefer Seufzer folgte. »Die Puppe hat ja auch überlebt.«
»Das reicht doch«, sagte Anne sofort, »man sollte nicht mehr mitnehmen, als man in beiden Händen tragen kann. Es soll nämlich Leute geben, die auf Polterabenden einen Teil ihres Sperrmülls entsorgen.«
Erst zwei Tage später wurde mir klar, weshalb sich Steffi und Hannes mit solch verschwörerischen Mienen angesehen, gegrinst und dann doch nicht mehr verraten hatten als: »Wir bringen ein bisschen was mit, das reicht für alle.«
Kurz vor Mitternacht hatten wir unsere Strategie endgültig festgelegt. Da die Feierei um neunzehn Uhr losgehen sollte, musste das Brautpaar mindestens eine Stunde vorher am Ort des Geschehens sein; einmal wegen der Endabnahme, zum anderen wegen jener Gäste, die grundsätzlich zu früh kommen. Also hätten wir ab ungefähr achtzehn Uhr freie Bahn.
»Es reicht ja, wenn wir gegen sechs von der Firma wegfahren«, überlegte Steffi, »dann könnten wir trotz Wochenendverkehr und – wie viel darfste mit dem Lkw fahren? Hundert?
- also wenn’s nicht wieder einen Stau gibt, müssten wir es in einer Stunde schaffen.«
»Wir dürfen ja gar nicht so früh da sein«, protestierte Karen, »Pünktlichkeit hat den Nachteil, dass die Leute meinen, man habe nichts Wichtigeres zu tun!«
Anne nickte zustimmend. »Außerdem brauchen wir genügend Zuschauer, sonst macht das alles doch gar keinen Spaß!«
»Zu spät bedeutet aber, dass die Steaks schon alle sind!« Das war Hannes, wer sonst?
Ich hob die Sitzung auf und ging nach oben, Betten beziehen und Wecker stellen. Den Verlust von Hannes’ Führerschein wollte ich denn doch nicht riskieren.
Der folgende Tag stand weitgehend im Zeichen von »Kann mal eben einer schnell zum Supermarkt …?« oder »Weiß jemand, wer sich zum letzten Mal meine Kartoffelscheibenreibe ausgeliehen und nicht zurückgebracht hat?«
Natürlich konnte niemand und wusste niemand, weil außer Rolf gar keiner da war, und der tobte sich in seinem Zimmer aus. Gelegentlich zogen Geruchsschwaden von Fixativ durchs Haus und vermischten sich mit dem Duft von Zwiebeln und Essiggurken, dann riss ich das Fenster auf, worauf jedes Mal oben eine offen stehende Tür zuknallte, und zwischendurch läuteten mal das Telefon und dann wieder die Haustürglocke, weil der Briefträger fragte, ob ich eine Frau Anneliese Kretschmer kenne, die müsse hier irgendwo wohnen, oder Karen wissen wollte, ob ich eine Dose kleine Erbsen hätte. »Für den Nudelsalat, sonst muss ich jetzt extra zu Aldi.«
Erbsen hatte ich nicht, aber: »Wenn du sowieso gehst, kannst du mir dann ein Bund Radieschen mitbringen?«
»Ich frage erst mal Anne, ob sie welche hat.«
Anne hatte auch keine, nur weiße Bohnen: »Sind ja
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