Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
unterhielten sich gedämpft, brachen aber sofort ab, als wir den Raum betraten. Wie auf Kommando flogen die Köpfe herum, wir wurden von den nur flüchtig gekämmten Haaren über die keineswegs mehr sauberen Blusen bis zu den zerknitterten Hosen gemustert und von der Mehrheit für nicht gesellschaftsfähig angesehen, was unschwer an den indignierten Mienen zu erkennen war. Kein Wunder, nach über sechs Stunden Fahrt in einem offenem Wagen sieht man nicht gerade präsentabel aus. Zeit zum Restaurieren oder gar Umziehen hatten wir nicht gehabt; sie hatte gerade mal zum Händewaschen gereicht.
    »Lassen Sie sich nicht stören, meine Damen, aber unsere Nachzüglerinnen sind nun doch noch angekommen. Das sind Frau … wie war doch gleich Ihr Name? Ach ja, Frau S. und ihre Tochter Frau M. Sie werden nachher noch Gelegenheit haben, sich bekannt zu machen, aber das müssen wir ja alle noch, nicht wahr?« Sie kicherte etwas albern, wünschte uns weiterhin guten Appetit und entschwebte, so weit man auf Stöckelschuhen schweben kann.
    An den drei Vierertischen saßen insgesamt zehn Frauen verschiedenen Alters, gut gekleidet, gut behängt mit allem, was die Schmuckschatulle hergegeben hatte, sorgfältig frisiert und irgendwie gelangweilt aussehend. Es gab jedoch auch das krasse Gegenstück dazu, nämlich eine aus zwei zusammengeschobenen Tischen bestehende Tafel, um die herum fünf Frauen Platz genommen hatten, alle in weißen Bademänteln, ungeschminkt und offensichtlich gut gelaunt. Sie hatten uns freundlich gegrüßt, sich dann aber gleich wieder abgewandt und die unterbrochene Unterhaltung fortgesetzt. Im Gegensatz zu den anderen Tischen, an denen nur geflüstert wurde, herrschte da drüben eine ausgesprochen fröhliche Stimmung.
    Wir setzten uns auf die zwei noch freien Plätze, bekamen jeweils einen Teller hingestellt mit ein paar Scheibchen kaltem Putenfleisch und hübsch dekorierten Rohkostsalaten, immer zwei Teelöffel voll, das Ganze umrandet von einzelnen Apfelstückchen … es sah alles sehr appetitlich aus und schmeckte großartig. Zu trinken gab’s Pfefferminztee. Hatte ich zum letzten Mal im Krankenhaus bekommen, und das war zehn Jahre her. Aber was soll’s, wir befanden uns auf einer Beauty- und Regenerationsfarm, da muss man natürlich mit flüssiger Gesundheit rechnen. Bekanntlich haben viele Kräuter heilsame Wirkungen, nur geschmacklich lassen manche sehr zu wünschen übrig.
    Da die anderen Gästinnen alle schon fertig waren – die meisten hatten sogar etwas auf dem Teller zurückgelassen – beeilten wir uns mit der Vorspeise und ließen ebenfalls ein paar Häppchen liegen, damit nicht länger auf uns gewartet werden musste. Dabei hatte ich einen Bärenhunger. Kein Wunder, seit dem Frühstück hatte ich außer einem Apfel nichts gegessen. Steffi übrigens auch nicht.
    Ja, und dann kam die größte Enttäuschung des Tages, nämlich ein Schälchen mit einer Aprikose und fünf Johannisbeerträublein – das Dessert! Der Puten-Salat-Teller war das Hauptgericht gewesen, eine Vorspeise hatte es gar nicht gegeben, und dass der Nachtisch sättigend sein würde, war nicht zu erwarten. Nicht mal, wenn man jeden Bissen dreißigmal kaut. Aber das geht sowieso nur bei alten Brötchen, mit denen sich unser Bundeskanzler immer am Wolfgangsee kasteit. Scheint bloß nicht viel zu nützen. Vielleicht sollte er es mal mit Haus Heide versuchen, hier gibt es nämlich auch Wellness-Wochen nur für Männer, Gewichtsreduzierung garantiert!!!
    Unsere beiden Tischdamen hatten sich mit gedämpfter Stimme über Fangverbote bei Kabeljau unterhalten und über Bernhard. Anfangs hatte ich ihn für den Ehemann der Jüngeren gehalten, wurde stutzig bei der Schilderung seiner Essgewohnheiten und kam schließlich dahinter, dass Bernhard ein Dobermann war.
    Endlich war die letzte Johannisbeere verzehrt, die zweite Tasse Pfefferminztee geleert, das Abendessen für beendet erklärt. Dass ich hungriger aufstand als ich mich zu Tisch gesetzt hatte, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden. Steffi ging es genauso, und trotzdem sprach sie mir noch Mut zu. »Bangemachen gilt nicht, die sechs Tage kriegen wir schon rum! Schade, dass man uns nicht zu dem Ku-Klux-Klan gesetzt hat, das scheint eine ganz lustige Truppe zu sein. Bei den anderen habe ich allerdings geglaubt, die sitzen beim Leichenschmaus. Nicht wegen des frugalen Mahls, nach einer Beerdigung ist das Essen reichhaltiger, sondern wegen der sauertöpfischen Mienen.«
    »Stimmt nicht!

Weitere Kostenlose Bücher