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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Beim Leichenschmaus geht’s meistens viel lockerer zu! Wenn die nicht alle erst heute angekommen wären, würde ich vermuten, sie leiden an chronischem Hungergefühl.«
    Die Damen von den Vierertischen verteilten sich in Erwartung der Tagesschau im Gemeinschaftsraum, die weiße Riege sammelte sich beim Ausgang. Die Längste von ihnen, knapp unter 1,80 m, kam auf uns zu. »Sie wohnen doch auch im Oberhaus, kennen Sie schon den Trampelpfad?«
    »Nur so ungefähr.«
    »Dann kommen Sie am besten gleich mit.«
    Nichts lieber als das! Die Aussicht, einen Teil der kommenden Tage in Gesellschaft unserer Tischnachbarn verbringen und mich über Hunde und Heringe unterhalten zu müssen, hatten einen gelinden Schock bei mir ausgelöst. »Wer wohnt denn noch da oben?«
    »Außer uns niemand mehr, jedenfalls bis Mitte der Woche. Dann kommen anscheinend noch drei Frauen zum WellnessWeekend.«
    Nach den bisherigen Erfahrungen würden mir drei Tage auch genügen!
    Wir marschierten los, und während des Aufstiegs erfuhren wir, dass sich vier unserer Mitbewohnerinnen seit Jahren kennen und schon im vergangenen Sommer beschlossen hatten, ihren Ehemännern mal eine Woche lang Haus und Kinder aufzuhalsen und sich gründlich verwöhnen zu lassen. »Ich hab ja über ein Jahr drauf gespart«, gab die mit dem Gardemaß freimütig zu, »Renate hat Glück, sie kriegt so was von ihrem Mann geschenkt. Moni hat ein Handarbeitsgeschäft und Lilo ist auch selbstständig. Die hatten alle das Geld schon früher zusammen, aber sie haben auf mich gewartet. Außerdem hat mein Mann darauf bestanden, dass die Kinder noch Ferien haben müssten, dem morgendlichen Schulstress fühle er sich denn doch nicht gewachsen.«
    Ich gab zu, ebenfalls einen Gutschein einzulösen, während Steffi von Hannes gesponsert worden war. »Wie viele Kinder haben Sie denn?«
    »Drei. Einen von elf, ein Mädchen von sieben und den Benjamin mit vier, also alle genau in dem Alter, wo sie ihre Eltern noch schneller kaputtmachen als ihre Schuhe.«
    Dann waren wir oben angekommen und wurden am Eingang schon von Frau Jonkers in Empfang genommen. »Guten Abend, die Damen, hat es Ihnen denn geschmeckt?«
    »Natürlich, sehr gut, ausgezeichnet!«, echoten wir erwartungsgemäß, was im Übrigen auch der Wahrheit entsprach, und dass die Portionen ruhig dreimal so groß hätten sein können, wusste sie vermutlich selber. Mich hätte nur mal interessiert, wie viele Kalorien unser spartanisches Mahl eigentlich gehabt hatte.
    »Frau S. und ihre Tochter würde ich gern noch in meinem Büro sehen, wegen des Fragebogens.«
    »Hat das noch eine halbe Stunde Zeit?« Ich sehnte mich nach einer Dusche und dem frischen weißen Bademantel.
    »Sofort wäre mir lieber. Ich muss den Plan für den morgigen Tag machen, und dazu brauche ich Ihre Angaben. Normalerweise werden die Fragebogen nämlich gleich nach der Ankunft ausgefüllt.«
    Das war deutlich! »Wir kommen gleich, ich möchte nur schnell meine Schuhe wechseln.«
    Amelie warf einen Blick auf meine Slippen die sich weniger durch Eleganz als durch Bequemlichkeit auszeichnen, jedoch genau das Richtige für lange Autofahrten sind, und hatte Verständnis. Ich bin überzeugt, dass sie solche absatzlosen Treten falls überhaupt, zum letzten Mal vor 35 Jahren getragen hat.
    Unsere Köfferchen hatte man bereits ins Zimmer gebracht, die Fenster waren geschlossen, vermutlich wegen der abendlichen Kühle. Ich riss beide Flügel auf und atmete tief durch.
    Es roch nach frisch gemähtem Gras, nach Rosen und – nach Grillfeuer!
    »Mach sofort das Fenster wieder zu«, brüllte Steffi, »das ist Selbstkasteiung. Oder hast du etwa keinen Hunger mehr?«
    Amelie wartete schon. Sie drückte jeder einen Fragebogen nebst Kugelschreiber in die Hand, und dann mussten wir Angaben zur Person machen. Alter, Größe, Gewicht, Raucher ja oder nein, Krankheiten, falls ja, welche, liegt eine Schwangerschaft vor oder ist man allergisch, wenn ja, wogegen – und das vier Seiten lang. Ganz zum Schluss kam die Frage: »Wird kalorienreduzierte Kost gewünscht oder normale?«
    Wir sahen uns beide an und schüttelten die Köpfe. Dann erinnerte ich mich, dass vorhin niemand etwas anderes gegessen hatte als die paar Scheiben Fleisch nebst den Salathäppchen, wobei ich immer noch rätselte, welches von dem Grünzeug eigentlich die Dekoration gewesen war. Andererseits kann ein Mensch relativ lange ohne Nahrung auskommen, sofern er genug zu trinken hat. Ich dachte an die beiden

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