Menschenskinder
Sie etwa behaupten, sie haben noch nie eine Selleriepflanze gesehen?« Das war die mit der Hollywood-Tochter.
»Gesehen schon«, verteidigte sich Lilo, »aber nicht gewusst, was es ist.«
»Sellerie, Lilo, ganz einfach Sellerie«, sagte Conny mit deutlicher Betonung, »du hast gerade welchen gegessen.«
»Das habe ich oft genug, aber da ist er immer schon fertig gewesen.« An den zum Teil frostigen Mienen der Unterhäuslerinnen war abzulesen, was sie von uns hielten, nämlich gar nichts. Zugegeben, Lilo konnte man nicht gerade als Intelligenzlerin bezeichnen, doch sie versuchte nie, ihre Unwissenheit in manchen Dingen zu bemänteln, sondern gab sie frei und frank zu. »… aber ich habe ein gutes Lexikon!« Und wie Sellerie aussieht, gehört mit Sicherheit nicht zur Allgemeinbildung.
Die Teller waren abgetragen, die meisten Gläser geleert, nachgeschenkt wurde trotzdem nicht, da erhob sich Amelie und begann mit einer Ansprache, in der viel von Sonnenschein für die Seele die Rede war, von der nun schon hinlänglich bekannten Schönheit von innen und von der Hoffnung, der Aufenthalt im Haus Heide möge noch lange nachwirken. Dann wandte sie sich Tantchen Kabeljau zu und überreichte ihr ein Fläschchen mit einer – logisch! – rosa Flüssigkeit.
»Sie sind jetzt zum vierten Mal hier gewesen, meine lieben Damen Harmsen« – es folgte ein freundliches Lächeln hinüber zu Roswitha –, »und das erfordert natürlich eine besondere Anerkennung. Diese Lotion haben Sie sonst immer gekauft, das hat mir nämlich ein kleines Vögelchen zugezwitschert, aber diesmal bekommen Sie sie als Dank für Ihre Anhänglichkeit geschenkt. Darüber hinaus biete ich Ihnen als meinen treuesten Gästen heute das Du an. Ich heiße Amelie.«
Gedämpfter Beifall, während sie sich über Frau Harmsen beugte, sie umarmte und einen Wangenkuss andeutete.
»Hi-hi-hilde«, stotterte die so Geehrte verblüfft, küsste jedoch nicht zurück, sondern reichte Amelie lediglich mit ein paar Dankesworten für das Geschenk die Hand. Roswitha, wohl wissend, was sich gehört, stand höflich auf, nahm Kuss und Fläschchen entgegen, bedankte sich artig und sah dann etwas hilflos zu ihrer Tante hinüber. Die hatte sich jedoch schon wieder abgewandt, denn jetzt erschienen die Mitarbeiter, um sich – und uns – zu verabschieden. Einige waren in ihrer Freizeitkluft kaum wieder zu erkennen; wir hatten sie ja nur weiß bekittelt im rosa Ambiente gesehen, die vier anderen sowieso noch nie, denn das Unterhaus hatte natürlich eine eigene Kosmetikabteilung nebst dazugehörigem Personal gehabt.
Renates Knisterfolienstrauß mit den deutlich erkennbaren Blütenkelchen, den sie mit einigen netten Worten überreichte, wurde allgemein bestaunt und bewundert, sogar von der Konkurrenz, stellte jedoch deren Briefumschlag (aber Büttenpapier!!) weit in den Schatten, und damit hatten wir beim Unterhaus eventuell noch vorhandene Reste von Wohlwollen endgültig verspielt.
Das bekamen wir auch zu spüren, als sich die ersten Damen in unserem Kaminzimmer einfanden. Sie würdigten uns kaum eines Blickes und hätten sich am liebsten in den danebenliegenden ›Salon‹ zurückgezogen, nur war der abgeschlossen. Die Schlacht mit Kamm und Schere sollte nämlich hier bei uns stattfinden, wo es im Untergeschoss tatsächlich noch einen kleinen Raum gab mit vorne einem Waschbecken und zirka fünf Quadratmeter Platz dahinter. Ein bisschen eng für die erwarteten Figaros.
Die kamen ja auch gar nicht, sondern nur Kirsten und Manuela, beide mit jeweils einem Korb bewaffnet, dessen Inhalt vermutlich in irgendeiner Form auf unseren Häuptern verteilt werden sollte. Immerhin hatte Püppi ja um Aufhellung ihrer blonden Haare gebeten, Stefanie sollte Glanzlichter bekommen, und mir hatte Kirsten auch etwas in dieser Richtung angedroht.
Um es kurz zu machen: Conny, die um viertel vor neun Termin hatte, kam um halb zehn dran, denn ihre Vorgängerin hatte sich lange nicht entscheiden können, ob sie nun ohne Scheitel oder doch lieber wieder mit, weil sie so daran gewöhnt sei, andererseits wolle sie ja mal etwas Neues … Nach Conny wäre Moni an der Reihe gewesen, musste aber warten, denn die auf tizianrot umgefärbte Frau Walther sollte vorher noch geföhnt werden, dabei stand doch schon Frau Harmsen im Türrahmen, die ebenfalls längst überfällig war.
Wer zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht als nicht Eingeweihter versehentlich ins Untergeschoss geraten wäre, hätte sich
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