Menschenskinder
vermutlich in die psychiatrische Abteilung für die leichteren Fälle versetzt gefühlt. Da saßen und standen immer ein halbes Dutzend Frauen in den verschiedensten Stadien des ›hairstylings‹ herum, mal mit Badehäubchen auf dem Kopf, aus dem die als ›Glanzlichter‹ einzufärbenden Strähnen heraushingen, mal frisch gewaschen, aber noch nicht geschnitten, also Tuch um den Kopf, damit die Haare nicht schon wieder trocken werden, und mal auch nur in der Hoffnung, hier unten schneller dranzukommen, als ein Stockwerk höher darauf zu warten. Mitten drin als Fels in der Brandung und durch nichts zu erschüttern Kirsten und Manuela, Letztere zuständig fürs Waschen, Auf- und Wegräumen, notfalls Assistieren und vor allem für den Kaffee. Statt des sonst üblichen rosa-weißen Trockenblumengestecks stand auf dem kleinen Tischchen im Gang jetzt eine Kaffeemaschine nebst Zubehör, in diesen Räumen der inneren und äußeren Gesundheit ein bisher nie gesichteter Gegenstand. Da Manuela im Umgang damit keine Probleme hatte, liegt der Schluss nahe, dass dieses Gerät an jedem Freitag hier aufgebaut wird, was wiederum bedeutet, die Frisurentipps vom Donnerstag ziehen jedes Mal einen Tag später die Umsetzung von der Beratung zur Ausführung nach sich. Allerdings im Wechsel mit Sabrina, Kirsten ist nur alle 14 Tage dran.
Dieses und noch mehr erfuhren wir im Laufe des Abends, während wir zwischen oben und unten pendelten, um nachzusehen, wie weit denn die ganze Sache schon gediehen war. Anfangs hatten wir mit Rücksicht auf die Damen vom Unterhaus sittsam bei Mineralwasser und Früchtetee (ErdbeerRhabarber) im Kaminzimmer gesessen, doch nachdem Lilo den Pickelpasten-Sekt geholt hatte, waren wir nur zu gern auf Gehaltvolleres umgestiegen. Stefanie hatte ihren Termin mit Tantchen getauscht, Renate mit Frau Grebenhagen, und die Dame mit dem Nichtraucher-Walkman hatte um halb elf beschlossen, auf die Verschönerung zu verzichten und lieber ins Bett zu gehen. Der Rest des Unterhauses war also entweder schon fertig oder saß in einem Zwischenstadium in irgendeiner Ecke geparkt.
So hatten wir das Kaminzimmer endlich wieder für uns, wenn man mal von Roswitha absah, die sich nach dem zweiten Glas Sekt erstaunlich gut in unseren Kreis eingefügt hatte. »Gibt’s hier irgendwo Nachschub? Unten geht nämlich das Gerücht, hier bekäme man alles.«
»Stimmt«, sagte Steffi, »komm mal mit! Ich wollte sowieso eine Flasche holen, jetzt bin ich nämlich dran.«
Die beiden zogen ab, waren aber gleich wieder da. Mit zwei Flaschen Sekt. Worauf Lilo das Zimmer verließ und wenig später mit dem Restbestand ihrer Notverpflegung zurückkam. Er reichte noch für alle.
Tante Hilde war einigermaßen überrascht, als sie in unsere recht fidele Runde platzte und mitten drin ihre schwiegertöchterliche Nichte – oder umgekehrt – entdeckte. Mit einem leeren Sektglas in der einen Hand und einem halben Dutzend Salzstangen in der anderen. »Roswitha, du bist jetzt dran.«
Roswitha wollte aber nicht. »Zum Friseur kann ich jederzeit zu Hause gehen, aber so eine lustige Clique finde ich nie wieder. Kriege ich noch ein Glas Sekt?«
Lilo griff zur Flasche, doch statt des erwarteten Protests kam von Tante Hilde die Frage: »Hätten Sie für mich auch eins übrig?«
»Aber sicher doch!«, sagte Lilo. »Holt mal jemand ein Glas?« Und nachdem sie die Flasche ans Licht gehalten hatte: »Bring gleich noch eine mit!«
»Ist keine mehr da!«
»Wie? Keine mehr da?«
Steffi schüttelte den Kopf. »Wir haben vorhin die letzten beiden rausgenommen.«
»Und was ist mit dem zweiten Kühlschrank?«
»Da ist doch bloß Bier drin?«
»Nicht am letzten Tag«, sagte Rosemarie und stand auf, »an den Abschiedsabenden sind beide Kühlschränke immer gut gefüllt! «
Wir haben wirklich nicht gesungen, als wir Roswitha in die Katakomben begleiteten und vorsichtshalber die neue Flasche und zwei weitere Gläser mitnahmen. Nach anfänglichem Zögern war Tantchen dann doch nicht mitgekommen, hatte uns jedoch das Versprechen abgenommen, ihre Nichte nicht in volltrunkenem Zustand nach Hause zu schicken. Die schien aber recht standfest zu sein. Wieso auch nicht? Bei den Heringsfängern trinkt man doch Köm oder die berühmte Lüttje Lage, von der ich zwar nicht weiß, woraus sie besteht, aber sie enthält mit Sicherheit mehr Alkohol als Amelies namenloser Sekt.
Nein, sie wolle jetzt keinen, sagte Kirsten, schließlich müsse sie noch arbeiten, und Mannela bekäme
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