Menschenskinder
entdeckte sie auf dem Tisch die beiden Katalogseiten, die Steffi mir kopiert hatte. »Richtig, ihr verreist ja wieder mal. Diesmal in die andere Richtung, stimmt’s? Steffi hat so was angedeutet. Ist das da euer Domizil?« Sie vertiefte sich in die Beschreibung. »Hm, klingt gut, wäre aber nichts für mich. Zu langweilig. Da ist doch total tote Hose! Geselliges Beisammensein an der Hotel-Bar«, las sie vor, »hört sich irre aufregend an. Drei Wochen lang immer dieselben Gesichter am Tresen, und wenn du Pech hast, ist darunter so ein ambitionierter Pausenclown, der einem spätestens am dritten Tag auf den Senkel geht.«
»Weißt du eigentlich schon, dass Papi mitkommen will?«
»Waaas???« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Ist das etwa seine eigene Idee, oder hast du nachgeholfen? Das geht doch niemals gut.«
»Natürlich nicht, und deshalb versuchen wir ja auch, ihn davon wieder abzubringen.« In kurzen Worten erzählte ich, welche Gegenmaßnahmen wir bereits ergriffen hatten. »Ich weiß ja nicht, was für Horrorvisionen ihm Steffi ausgemalt hat, aber ich habe den Eindruck, sie wirken bereits.«
»Na, dann werde ich noch ein bisschen in dieselbe Kerbe hauen!«, versprach Katja, meinte aber gleich darauf, dass unsere Methode ganz bestimmt nicht die feine englische Art sei. »Jetzt könntet ihr endlich mal wieder zusammen verreisen, und stattdessen bemüht ihr euch, dass es nicht dazu kommt.«
»Meine Güte, seitdem sich dein Vater aufs Altenteil gesetzt hat, hängen wir doch sowieso den ganzen Tag aufeinander, da sind ein paar Wochen Ferien vom Du ausgesprochen erholsam. Außerdem hat Felix im Mai Fünfzigjähriges, ein triftiger Grund, um ein paar Tage hinzufahren. Gemeinsam!«
»Goldene Hochzeit?«
»Lass ihn das bloß nicht hören! Sooo alt ist er nun doch noch nicht, auch wenn er mit diesem komischen Seemannsbart aussieht wie sein eigener Großvater. Nee, kein Ehejubiläum, aber fünfzig Jahre Buchbinderkunst, wobei die Betonung auf Kunst liegt, wie du selber am besten weißt. Ich glaube nämlich kaum, dass es sehr viele in Leinen gebundene und mit Goldschnitt versehene Reclam-Bändchen gibt.« Anlässlich eines Besuches bei uns hatten Felix die zum Teil schon etwas zerfledderten gelben Büchlein gestört, von denen sich die Mädchen auch nach dem Abitur nicht hatten trennen können. Aus eigener Erfahrung bin ich zwar davon überzeugt, dass sie in keines dieser Hefte jemals wieder hineinsehen werden (wer liest schon freiwillig zum zweiten Mal
Das Käthchen von Heilbronn?),
doch nach Ansicht der Zwillinge war jedes einzelne mit Schweißtropfen getränkt und darüber hinaus mit handschriftlichen Notizen versehen, über die man sich in späteren Jahren milde lächelnd amüsieren würde. Was wiederum voraussetzt, dass die Hefte doch noch mal aufgeschlagen werden.
Jedenfalls hatte Felix den ganzen Stapel mitgenommen und nach ein paar Monaten »restauriert« zurückgeschickt. Ich will ihm ja nichts unterstellen, doch ich bin nie den Verdacht losgeworden, dass er Arbeitsmaterial für seinen Azubi brauchte. Sollte das tatsächlich der Fall gewesen sein, dann hatte der Knabe schon eine Menge gelernt, denn die Büchlein sehen jetzt so edel aus, dass sie – schwesterlich geteilt – von den Zwillingen wieder requiriert worden sind und in meinem Schrank eine unübersehbare Lücke hinterlassen haben. Da sage noch jemand, die Klassiker seien out. Man muss sie halt nur richtig verpacken!
Lange brauchte Katja nicht, um ihren Vater von den Nachteilen eines Urlaubs in tropischen Gefilden zu überzeugen, zumal sie neben der zu erwartenden Hitze, den Moskitos (auf einer kleinen Insel mitten im Meer?) und den eingeschränkten Möglichkeiten längerer Spaziergänge auch noch das Essen erwähnte, zu dessen Grundlage doch wohl in erster Linie Reis gehöre – ein Nahrungsmittel also, das es nach Rolfs Ansicht gar nicht geben dürfte. Er sei kein Huhn, das sich von Körnern ernähre, pflegt er seine Abneigung gegen die asiatische Küche zu begründen, und lehnt es ab mitzukommen, wenn wir mal wieder zum Chinesen wollen.
Die Aussicht, drei Wochen lang »dieses Hühnerfutter« vorgesetzt zu kriegen, muss dann wohl das Tüpfelchen auf dem i gewesen sein, denn noch am selben Abend eröffnete mir mein Ehemann, dass er sich die Sache überlegt habe. »Ich werde doch besser zu Hause bleiben«, meinte er so ganz nebenbei und zählte auf, was ihn zu diesem Entschluss gebracht hatte. »Es sind ja nicht nur die Birken, du weißt
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