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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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doch selber, wie unzuverlässig Sven manchmal ist, es sind auch der lange Flug und die Zeitverschiebung, ich bin ja nicht mehr der Jüngste, und überhaupt sollte das Haus nicht drei Wochen lang unbeaufsichtigt bleiben. Immerhin ist hier schon mal eingebrochen worden.«
    Stimmt, drei Häuser weiter. Vor vier Jahren. Und das auch nur, weil die Bewohner abends nach Mannheim ins Theater gefahren waren und vergessen hatten, die Terrassentür zu schließen. Welcher Gelegenheitsdieb kann schon zwei weit geöffneten Fensterflügeln widerstehen? Normalerweise leben wir nämlich in einer sehr soliden Gegend, wo jeder jeden im Auge behält und Fragen wie »ha no, Sie hend ja geschtern en noble B’such g’het, wo in diesem silbernen Sportwägle komme isch. Den hab i noch gar nie nich g’sehn!« als absolut normal gelten. Es handelt sich dabei auch keineswegs um eine rein rhetorische Feststellung, sondern umschreibt eine direkte Frage, die man nach Möglichkeit auch beantworten sollte. Ein »Ach, das war nur jemand vom Verlag, der etwas abholen wollte« genügt meistens und wird auch ohne weiteres akzeptiert. Die harmlose Wahrheit, dass nämlich der »noble B’such« ein Abgesandter des Möbelhauses gewesen war, bei dem wir eine neue Regalwand bestellt hatten, hätte einer viel längeren Erklärung bedurft: Was für ein Regal und vor allem für welches Zimmer? Haben wir nicht erst vor zwei Jahren renoviert? Zieht eventuell jemand Verwandtes ein, wo doch jetzt die Kinder alle aus dem Haus sind …?
    Es wird ja behauptet, in der Großstadt lebe man anonym nebeneinander her, wofür dann immer der allein stehende Opa herhalten muss, der erst zweieinhalb Jahre nach seinem Tod mumifiziert im Schaukelstuhl gefunden wurde, aber ein bisschen Anonymität wäre auch in einer Kleinstadt manchmal ganz wünschenswert.
    Rolf war also der Ansicht, das Haus dürfe nicht unbeaufsichtigt bleiben, und deshalb werde er, wenn auch ungern, auf die Winterreise verzichten und stattdessen im Sommer zum Angeln fahren.
    Na also! Warum nicht gleich so?
    Rückblickend würde ich übrigens jeden Eid leisten, dass er schon am zweiten Tag seines Insellebens nach einer Fluchtmöglichkeit gesucht hätte und notfalls sogar durch das Chinesische Meer geschwommen wäre – zurück in die Zivilisation!

Kapitel 3
    W as hast du eigentlich in deinem Koffer drin?« Ächzend wuchtete Hannes meine 23,5 Kilogramm Urlaubsgepäck auf den Buggy. »Fünf Bände Meyers Konversationslexikon?«
    Eine nicht unberechtigte Frage, schließlich kennt er meinen unstillbaren Bedarf an Ferienlektüre. »Nein, aber Steffi hat mir noch eure beiden Luftmatratzen aufgehalst, zusammen mit meiner eigenen sind’s drei, außerdem wiegen Badeanzüge viel mehr als Bikinis, und euren Föhn musste ich auch noch mit einpacken. Und überhaupt kannst du froh sein, dass ich mir vorgestern noch einen neuen Koffer gekauft habe, der hier ist nämlich viel leichter als mein alter.«
    »Dafür hast du auch mehr reingestopft!« Er wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn, bevor er die zwei prall gefüllten Tauchrucksäcke auf den Wagen hievte.
    »In der Beschränktheit zeigt sich erst der Meister! Ich habe alles in meinen Rucksack gekriegt«, triumphierte Steffi.
    »Stimmt!«, musste ich zugeben. »Aber dafür kommen meine Sachen halbwegs glatt aus dem Koffer, während deine immer aussehen, als hättest du bereits drei Nächte drin geschlafen. Ach ja, noch etwas: Bei Goethe zeigt sich der Meister zwar in der Beschränkung und nicht in der Beschränktheit, doch bei dir trifft ausnahmsweise beides zu! Wer rollt schon seine frisch gebügelten T-Shirts zu Würsten zusammen, damit sie in den Rucksack passen?«
    »Stimmt ja gar nicht! Wenn du mal genau hingucken …«
    »Kommt ihr mit, oder habt ihr euch die ganze Sache noch mal überlegt?«
    Hannes hatte das Gepäck nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich mühsam übereinander gestapelt und den Kofferkuli in Bewegung gesetzt. Steffi stützte links, ich rechts, sonst wäre unweigerlich schon nach ein paar Schritten der ganze Stapel abgerutscht, und so zogen wir, einer Flüchtlingsfamilie nicht ganz unähnlich, durch den Frankfurter Terminal. Wir befanden uns nämlich auf dem Weg nach Manila, und der begann mit einer unerwarteten Suche nach dem richtigen Schalter.
    Nun gibt es zwar in jedem modernen Flughafengebäude einen Wegweiser, der einem genau sagt (oder sagen sollte), wo man was findet. Das klappt auch einwandfrei, wenn man sowieso schon

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