Menschenskinder
größeres Lungenvolumen. Behaupten sie zumindest, japsen aber nach der zwanzigsten Treppenstufe bereits nach Luft.
Wenn ich wüsste, wer es gewesen ist, dann würde ich dem Erfinder der Luftmatratze ein Denkmal setzen. Dass man darauf nächtigen kann, wenn man mit Fahrrad, Iglu-Zelt und Mumienschlafsack auf Tour geht, ist bekannt und häufig erprobt, für mich jedoch nicht mehr relevant, ich bin über das Alter von verkokelten Folienkartoffeln aus dem Lagerfeuer und Ameisen im Bett hinaus. Aber seitdem ich einmal einen Urlaub überwiegend auf einem Handtuch im Sand verbracht habe statt auf einer der bereitgestellten, dreifach verstellbaren Komfortliegen, sehe ich mir die Fotos in den Reisekatalogen ganz besonders gründlich an. Haben die Liegen – sie sind meist dekorativ um den Pool gruppiert – richtige Auflagen, oder sind sie einheitlich weiß? Dann haben sie nämlich keine! Bunte Tupfer bedeuten keineswegs auch bunte Auflagen, sondern selbst mitgebrachte Badetücher (im Zweifelsfall betrachte man die Fotos durch eine Lupe). Aber sogar die neuerdings besonders herausgestellten Öko-Liegen (Holz statt Plastik!) werden ohne Auflagen nach längstens einer halben Stunde zu Folterinstrumenten, es sei denn, man wäre ein Fakir. Ich bin aber keiner, und deshalb muss eine Luftmatratze mit, eine von den billigen, denn sie bleibt natürlich da und wird am Abreisetag an einen der stumm leidenden, immer mal wieder sehnsüchtig herüberblickenden Gäste weitergereicht.
Noch vor dem Einschlafen hatte ich mir gestern überlegt, wie ich der zu erwartenden Nachstellung von Uschilein aus dem Wege gehen könnte. Es gab da abseits des breiten Badestrandes einen schmalen Küstenstreifen mit ein bisschen Sand, ein bisschen Kies und dem ziemlich steil ins Meer abfallenden Ufer, also für Strandspiele und gemütliches Herumgeplantsche absolut ungeeignet. Die zwei offenbar herrenlos herumstehenden Liegen waren sandbepudert, also unbenutzt, wir würden eine dritte ordern und es uns unter den Schatten spendenden Zweigen eines uns allen unbekannten Gewächses gemütlich machen. Zur Tarnung hatte ich außer zwei Büchern noch einen Schreibblock mitgenommen, mehrere farbige Stifte lagen griffbereit im Sand. Sollte sich Uschilein auf die Suche nach mir begeben, was zweifellos irgendwann geschähe, dann würde sie eine in ihre Arbeit vertiefte Anwältin (evtl. auch Journalistin oder Studienrätin, über den Beruf war ich mir noch nicht im Klaren) vorfinden, die endlich in Ruhe ihr Plädoyer bzw. ihren Artikel oder die nächsten Klausuren ausarbeiten wollte. Wie sich die Lektüre eines historischen Romans damit vereinbaren ließ, blieb dahingestellt. Vorsichtshalber hatte ich den Schutzumschlag entfernt.
Uschilein kam nicht, stattdessen erschien eine Dame mittleren Alters, Typ gut konservierte Unternehmergattin mit kulturellen Interessen, denn nachdem sie eine der nun nicht mehr sandbestreuten Liegen belegt hatte, breitete sie ein halbes Dutzend englischsprachiger Filmzeitschriften um sich herum aus. Ich bekam ein freundliches Kopfnicken sowie ein »Hello!« ab, hellote zurück, und damit war der Höflichkeit Genüge getan. Jetzt bloß kein kommunikationsbedürftiges Uschilein, dann würde ich innerhalb von Minuten mit meinem vermeintlich perfekten Englisch jämmerlich baden gehen, von Mr. Mahonney aus Middlethorpe erst gar nicht zu reden! Der ganze Schwindel würde auffliegen, wir hätten uns fürchterlich blamiert und bei dem hier offensichtlichen Mangel an aktuellem Gesprächsstoff würde diese Geschichte zweifellos bis zum nächsten Morgen die Runde gemacht haben.
Als Steffi und Hannes von ihrem ersten Tauchgang zurückkamen und von metergroßen Tischkorallen, Röhrenschwämmen und Seefedern zu schwärmen begannen, schaltete sich die vermeintliche Amerikanerin ein: »Stimmt! Hier sind die Riffs ja auch noch halbwegs intakt. Kennen Sie schon die Malediven?«
»Flüchtig, mit denen waren wir mal essen«, kalauerte Hannes. Hahaha!
Bis zum Mittagessen musste ich mir das schon sattsam bekannte Taucherlatein anhören, angereichert durch Frau Heinrichs Informationen über das Great Barrier Reef in Australien, sehr beeindruckend natürlich, teuer, und mit den Haien sei das ja auch so eine Sache. »Wir waren nur eine Woche da, aber in der Zeit sind zwei Taucher hops gegangen, wie genau, weiß keiner, aber wenn sie nicht nach Neu-Guinea geschwommen sind, werden die Haie sie wohl gefrühstückt haben.«
»Reizende Vorstellung«, murmelte
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