Menschensoehne
ich euch sage, was ich weiß? Viel ist es nicht.«
»Die Möglichkeit ist ganz und gar nicht auszuschließen«, erwiderte Kiddi Kolke. Pálmi überließ es weitgehend ihm, mit diesem Mann zu sprechen.
»Kennst du einen Mann namens Sævar Kreutz, und dann diesen anderen, diesen Erik Faxell?«
»Ich übernehme Spezialaufträge. Meistens geht es nur darum, bei irgendjemandem Geld einzutreiben. Man rückt da so einem Trottel auf die Bude, und plötzlich hat er massenhaft Geld. Ich habe diesen Job durch einen Dritten gekriegt, ich sollte bei so einer alten Oma da in Hafnarfjörður nach Kassetten suchen. Diese Kerle, von denen ihr redet, kenne ich gar nicht.«
»Die alte Oma heißt Helena«, warf Pálmi dazwischen und blickte den Mann mit gerunzelter Stirn an. »Sie ist eine Freundin von mir, und du hast sie beinahe umgebracht.« »Du warst dann als Nächster an der Reihe, aber ich hatte keine Zeit, mit dir über die Kassetten zu reden, weil dein Freund mich aus dem Verkehr gezogen hat«, sagte der Mann und befühlte seinen Nacken.
»Hat Sævar Kreutz dich um diesen Gefallen gebeten?«, fragte Kiddi Kolke.
»Wie ich euch gesagt hab, da ruft irgend so’n Typ bei mir an und knallt den Hörer dann auf. Die Kohle soll auf mein Konto eingezahlt werden, ich weiß nicht, von wem, aber was der sagt, ist immer in Ordnung gegangen.«
»Rufst du ihn an?«
»Nein.«
»Wie solltest du dich mit ihm in Verbindung setzen, falls du die Kassetten gefunden hättest?«
»Ich sollte sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort hinterlassen, und dann die Biege machen.«
»Dazu haben wir keine Zeit. Wer ist dieser Dritte?«
Der Mann schwieg.
»Wie war noch die Nummer von Erlendur bei der Kripo, Pálmi?«
Neununddreißig
Pálmi begab sich für ein paar Stunden in die Nationalbibliothek, während Kiddi Kolke den Mann bewachte. Sie wollten ihn nicht sofort freilassen, denn er sollte keine Zeit haben, sich mit Erik Faxell in Verbindung zu setzen. Er würde also noch etwas länger in Kiddis Abstellkammer hocken bleiben müssen. Er bäumte sich nach Kräften auf und versuchte, sich von den Fesseln zu befreien, aber die waren fest geschnürt und gaben nicht nach. In der Nacht versuchte er einmal, sich gegen die Tür zu werfen, aber das brachte ihm nur eine Beule am Kopf ein. Jetzt war er wieder ruhiger. Er bat um eine Zigarette, aber Kiddi Kolke erklärte ihm, Rauchen sei gefährlich, davon würde man Krebs kriegen. Das wolle er nicht auf dem Gewissen haben.
Der Name Sævar Kreutz hatte Erinnerungen in Pálmi wachgerufen, er erinnerte sich dunkel an Artikel über ihn, die vor vielen Jahren in den Zeitungen erschienen waren. Pálmi hatte auf der Suche nach Quellen-und Dokumentationsmaterial früher oft alte Zeitungen und Zeitschriften durchgeblättert, und sich das notiert, was er interessant fand – mit dem Hintergedanken, sich später besser mit dem Material vertraut zu machen. An manches konnte er sich erinnern, obwohl es gar nichts eingebracht hatte, beispielsweise an Sævar Kreutz.
Pálmi fühlte sich nirgends wohler als in einer Bibliothek. In der früheren Nationalbibliothek an der Hverfisgata, wo er besonders gern gewesen war, konnte er tagelang sitzen, ohne im eigentlichen Sinne etwas zu machen. Aus purer Neugierde schmökerte er in alten Zeitschriften und dicken Büchern. Es gab diverse andere Stammkunden, aber er war sicherlich der jüngste. Manchmal betrachtete er die anderen Bibliotheksbesucher und stellte sich vor, wie er im Alter genauso dort sitzen würde, in abgewetztem Anzug und ausgetretenen Schuhen; er würde alte Wälzer mit einer Lupe in Augenschein nehmen und etwas in ein Notizbüchlein kritzeln, der Himmel mochte wissen, was. Vielleicht war er jetzt schon so. Er fühlte sich wohl auf diesen großen geschnitzten Stühlen mit der lederbezogenen grünen Tischplatte vor sich, eingehüllt in Schweigen. Manchmal, wenn es ihm nicht gut ging, kam es ihm so vor, als würde ihn dieses schöne Gebäude mit seinen dicken, alten Wänden und diesem Geruch der Jahrhunderte schützend umgeben. Wenn er es betrat, schlossen die Türen den Lärm von draußen aus, und er tauchte ein in die Sicherheit dessen, was vergangen und weit weg war. Die Vergangenheit stellte keine Bedrohung für ihn dar – bis jetzt.
Aber auch in dem neuen Gebäude beim Nationalmuseum, das sowohl die Universitätsbibliothek als auch die Nationalbibliothek beherbergte, fühlte er sich sofort wohl. Er verspürte dort dasselbe Gefühl der
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