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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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schweigend da und hörten, wie die Wanduhr tickte.
    »Da ist noch etwas, das ihr vermutlich über Halldór wissen solltet«, sagte Helena schließlich. »Er hat es mir erst gesagt, als er schon sehr viel älter war. Und wahrscheinlich hätte er es mir nie gesagt, wenn da nicht vor vielen Jahren etwas bei ihm in der Schule vorgefallen wäre. Ich weiß nicht genau, was das war, aber es hat Halldór beunruhigt.«
    »Was sollten wir noch wissen?«, fragte Erlendur.
    »Seht ihr das Bild hier über mir?«, fragte Helena und wechselte plötzlich das Thema, als hätte sie bereits genug gesagt oder als sei ihr gegen ihren Willen etwas herausgerutscht, worüber sie eigentlich gar nicht reden wollte. Vielleicht wollte sie es auch verdrängen. »Das ist ein echter Kjarval. Er hat mich gezeichnet. Das ging ganz schnell, nur ein paar Striche und fertig war’s. Das ist das Einzige, was mir wirklich etwas bedeutet. Ich habe früher einmal in Þingvellir gearbeitet, und er kam manchmal zu uns, um einen Kaffee zu trinken, aber ich glaube, dass er einfach gern mit uns Mädchen geplaudert hat. Er war ein sehr beeindruckender Mann. Es hieß immer, er sei ein komischer Kauz, aber ein verständigerer und intelligenterer Mann ist mir nie wieder begegnet. Er hat einige von uns gezeichnet und uns die Zeichnungen geschenkt. Er sagte einmal, wir seien seine kleinen Lavageschöpfe. Ein wunderbarer Mann.«
    »Kjarval war ein Genie«, sagte Erlendur und betrachtete das Bild. »Was wolltest du uns über Halldór sagen?«
    Helena sah zuerst Erlendur, dann Sigurður Óli an, als sei sie unschlüssig, ob sie fortfahren oder darum bitten sollte, in Ruhe gelassen zu werden. Wieder herrschte Schweigen in dem kleinen Appartement. Erlendur und Sigurður Óli blickten sie an. Die Hitze in der Wohnung war fast unerträglich.
    »Er hat nur einmal darüber gesprochen und dann nie wieder«, sagte Helena langsam. »Man hat sich an ihm vergangen.« Helena schaute sie an, und die kleinen stechenden Augen zogen sich gequält zusammen.
    »Helena«, sagte Erlendur leise. »Was wollte Halldór, als er gestern anrief, und wann hat er angerufen?«
    Helena zog ein kleines Taschentuch aus ihrer Schürzentasche und führte es an die Augen. In der Wohnung hörte man nur das Ticken der Wanduhr, die gerade eine neue Stunde kurz anschlug und mit derselben Pendelbewegung die alte ausklingen ließ.
    »Er rief gegen Abend an, um mir zu sagen, dass es jetzt endlich vollbracht sei. Er habe sein Vorhaben ausgeführt, und jetzt würde seine Seele Frieden finden. Dann verabschiedete er sich.«
    »Weißt du, was er damit gemeint hat?«
    »Ich habe keine Ahnung.«

Acht
    Pálmi verbrachte den Tag in seinem Antiquariat am Laugavegur. Der Januar war ein ruhiger Monat im Buchgeschäft, und es war wenig zu tun. Um die Mittagszeit schickte er seine Aushilfskraft nach Hause. Sie studierte Literaturwissenschaft an der Universität und las während der Arbeitszeit alles, was ihr unterkam. Pálmi hatte eine Anzeige in die Zeitung gesetzt, und viele hatten sich um die halbe Stelle beworben, aber dieses junge Mädchen hatte den besten Eindruck auf ihn gemacht und ihn überrascht, weil sie nicht über ihre Qualifikation geredet hatte, sondern stattdessen ein Buch aus dem Regal genommen und gefragt hatte, ob sie ihm etwas daraus vorlesen dürfe.
    Pálmi hatte bereits im Gymnasium damit angefangen, Bücher zu sammeln. Er war schon immer ein Bücherwurm gewesen und las alles, was er in die Hand bekam. Das hatte er von seiner Mutter. Im Gymnasium wurden Bücher dann zu seiner einzigen wirklichen Leidenschaft und waren es seitdem geblieben. Er hatte kaum Freunde, und Frauen waren ein Buch mit sieben Siegeln für ihn. Im Gymnasium freundete er sich mit zwei Klassenkameraden an, die nun beide Medizin studierten und jetzt im Rahmen ihrer medizinischen Spezialausbildung im Ausland lebten. Er traf sich mit ihnen, wenn sie zu Besuch kamen, aber in den letzten Jahren benahmen sie sich schon fast wie Ausländer und beschwerten sich wie die Touristen über die hohen Preise und das schlechte Wetter in Island. Pálmi ärgerte sich etwas darüber, aber trotzdem hatten sie immer ihren Spaß. Seine längste Beziehung hatte ein halbes Jahr gehalten. Manchmal dachte er darüber nach, ob Daníel irgendwie Einfluss auf seine Verbindung zu Frauen hatte, hielt das aber nicht für wahrscheinlich. Höchstens indirekt. Er fand es naheliegender, dass er selbst einfach über nichts verfügte, was Frauen attraktiv fanden. Wer

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