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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Zwangsjacke gesteckt worden war. An anderen Tagen saß er in dem kleinen Besuchszimmer mit ihnen zusammen. Solange Pálmi sich erinnern konnte, hatte Daníel immer weiße Hemden getragen. Diese Besuche waren ein Fixpunkt in ihrem Leben. Manchmal saß Daníel stumm da und lauschte der Mutter, die ihm erzählte, was Pálmi und sie erlebt hatten. Manchmal war er völlig rastlos, lief in dem kleinen Raum auf und ab, zündete sich eine Zigarette nach der anderen an, redete ununterbrochen und wechselte ständig das Thema. Seine Finger hatten eine gelblichbraune Farbe angenommen, und es konnte vorkommen, dass sie voller Brandwunden waren, weil die Zigarettenglut die Finger erreicht hatte, ohne dass Daníel es merkte. Manchmal hatte er sich rasiert, manchmal trug er Bartstoppeln, manchmal einen Vollbart. Hin und wieder ließ er sich den Kopf völlig kahl scheren, aber zwischendurch ließ er das volle, dichte blonde Haar bis auf die Schultern wachsen. Als er eingeliefert worden war, war er ein gut aussehender und kräftiger junger Mann gewesen, aber mit der Zeit hielt er sich immer krummer und ließ den Kopf hängen. Er magerte ab, und seine Muskeln erschlafften zusehends, weil sie nicht gefordert wurden. Das Kettenrauchen hatte ihm einen Raucherhusten eingebracht. Im Winter war seine Haut fast so weiß wie seine Hemden. Weil die Gesichtsmuskeln mit zunehmendem Alter nachließen, wirkte das ehemals ausdrucksvolle Gesicht später abgestumpft und leblos. Während der Besuchszeiten zeigte er manchmal keinerlei Reaktion, sondern saß bloß da, wiegte den Oberkörper vor und zurück und schien nach innen auf sein verstümmeltes Ich zu starren.
    Manchmal durfte er sein Zimmer nicht verlassen, und statt ihn zu besuchen, wurden Pálmi und seine Mutter an seine Ärzte verwiesen, von denen Daníel eine ganze Reihe gehabt hatte. Da bekamen sie die wenigen Erklärungen, die zu haben waren. Wenn Jóhann Dienst hatte, setzte er sich meist mit ihnen zusammen, erzählte ihnen genauer, was vorgefallen war, und sprach ihnen Mut zu. Die Ärzte schienen Daníel schon seit langem aufgegeben zu haben. »Wir haben ihn vor drei Wochen auf ein neues Medikament gesetzt, was sich zunächst in etwas gewalttätigem Verhalten auswirkt, aber das gibt sich mit der Zeit«, hatte einer von ihnen gesagt, der allerdings nur einige Monate an der Klinik geblieben war.
    »Wieso sind denn die anderen Medikamente abgesetzt worden? Er hat sich doch jetzt schon über längere Zeit ganz gut gehalten«, hatte Daníels Mutter zu dem Psychiater gesagt.
    »Sie haben nicht die Wirkung gezeigt, die wir uns erhofft hatten«, war die Antwort.
    »Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, dass ihr meinen Danni als Versuchskaninchen für irgendwelche Medikamente benutzt.«
    »Nein, so etwas darfst du nicht sagen. Auf gar keinen Fall. Es gibt immer wieder neue Arzneimittel, und du musst uns glauben, dass wir ständig versuchen, die beste Therapie zu finden. Und keinesfalls die billigste. All diese Psychopharmaka kommen den Staat und den Steuerzahler teuer zu stehen.«
    »Darf man dann die Hoffnung hegen, dass irgendeines von diesen Medikamenten Danni heilen wird?«
    »Schizophrenie ist unheilbar. Wie oft müssen wir noch über dieselben Dinge diskutieren? Versuch doch endlich, das zu begreifen.«
    »Ich begreife gar nichts. Von einem Tag auf den anderen wurde aus meinem Danni ein Junge, der sich mit Alkohol und Rauschgift kaputtmachte und zu einem Monster wurde, das ich nicht mehr wiedererkannte.«
    So ging es jahraus, jahrein. Die Ärzte kamen und gingen, und mit ihnen kamen und gingen die Medikamente, nur Daníel blieb zurück, alterte, ging immer gebückter und verwelkte allmählich wie ein Blatt im Herbstwald. Manchmal schlug ein Medikament an, und Danni schien zum Leben zu erwachen und die depressive Phase überwunden zu haben. Aber meistens war sein Zustand manisch, ihm fehlte jegliche Balance. Alles oder nichts.
    Es gab eine Erklärung dafür, warum Pálmi als kleiner Junge nur widerwillig mitgekommen war, um seinen Bruder zu besuchen. Er fürchtete sich vor dem großen Gebäude, er fürchtete sich vor seinen Insassen, aber in erster Linie fürchtete er sich vor Danni. Trotzdem bestand seine Mutter darauf, dass er mitging, und sein Widerstand nützte ihm nichts. Die wenigen Male, die er als Kind mit ihr hineinging, versteckte er sich hinter ihrem Rücken und schwieg fast die ganze Zeit. Meist beachtete Daníel ihn nicht, aber hin und wieder konnte er Pálmi überraschen,

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