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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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indem er ihm seine Zuneigung zu zeigen versuchte und ihn an sich drückte. Pálmi fand das unangenehm. Er verstand diesen Fremden nicht. Pálmis Furcht vor Daníel saß tief. Daníel hatte einmal versucht, ihn umzubringen. Er hatte versucht, ihn anzuzünden.

Neun
    Pálmi verriegelte die Tür des Antiquariats und ging nach Hause. Nach dem Tauwetter herrschte jetzt wieder Frost, und der Schneematsch auf den Straßen und Bürgersteigen war festgefroren. Es knarrte und knirschte unter seinen Schuhen, als er mit schweren Schritten zu der Haltestelle in der Innenstadt ging. Die Stadt war so gut wie menschenleer, nur wenige Autos waren unterwegs. Nach dem Weihnachtsrummel fielen die Menschen im Januar in so etwas wie einen Winterschlaf. Pálmi dachte an all die vielen Gänge zur Klinik in längst vergangenen Wintern. Er würde nie vergessen können, wie Daníel auf einmal das Feuer gelegt hatte.
    Pálmi wusste genau, dass es an einem Mittwoch gewesen war, denn an dem Tag lief damals seine Lieblingssendung im Fernsehen, auf die er sich als Kind immer die ganze Woche gefreut hatte. An jenem Mittwoch aber wurde das gesamte Programm geändert, ständig wurde über irgendwelche Handschriften geredet, die von Dänemark nach Island zurückgebracht worden waren. Seine Mutter war nicht zu Hause, als es passierte. Pálmi lebte immer noch in derselben Wohnung, einer hübschen Vierzimmerwohnung. Das Wohnzimmer war mit Teppichboden ausgelegt, und die kleineren Zimmer hatten Korkfliesen. Die Brüder hatten jeder ein Zimmer für sich. Die Küche war klein, aber dahinter befand sich noch ein Abstellraum, den seine Mutter als Besen-und Rumpelkammer verwendete. Die Eltern hatten die Wohnung kurz nach der Hochzeit gekauft und sich immer wohl darin gefühlt.
    In dieser Zeit erreichten die Veränderungen bei Daníel ihren Höhepunkt, und später an diesem Tag sollte er zum ersten Mal in die Klinik eingeliefert werden. Seine Mutter hatte immer abwarten und die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Sie redete sich ein, dass es nur ein vorübergehender Zustand wäre. Er verschlimmerte sich zusehends, aber sie verschloss die Augen davor. Als die Sache später bei den Ärzten zur Sprache kam, erzählte sie, dass sich Daníel durch Pálmi bedroht gefühlt habe, weil der kleine Bruder eine so enge Beziehung zu seiner Mutter hatte. Das war angeblich der Grund dafür, dass Daníel versuchte, seinen Bruder umzubringen. Das lag ihrer Meinung nach auf der Hand, obwohl Daníel kein Wort über das, was er getan hatte, verlor, und mit Pálmi hatte niemand gesprochen.
    An diesem sonnigen Frühlingstag war Pálmi mit seinen Freunden im Viertel herumgestromert. Er kam mittags nach Hause und öffnete mit seinem Schlüssel die Wohnungstür. Daníel packte ihn im gleichen Augenblick, in dem er hereinkam.
    »Verzeih mir, lieber Pálmi«, sagte er und warf ihn auf den Boden, sodass er auf dem Bauch lag. Pálmi wusste nicht, ob er sich zur Wehr setzen und sich befreien sollte. Es konnte genauso gut ein Spiel sein. Daníel klang ungewöhnlich hektisch, er redete vor sich hin, und Pálmi kam es so vor, als würde er mit sich selbst streiten.
    »Was machst du da, Danni?«, fragte er.
    »Sei nur schön brav, mein Lieber.«
    »Du tust mir weh.«
    »Hörst du sie nicht?«, fragte Daníel. »Sie sind überall. Hinter den Wänden und in den Möbeln.« Er hob Pálmi hoch wie eine Feder und trug ihn in sein Zimmer. Dort lagen Stricke herum, und Daníel begann, Pálmi ans Bett zu fesseln. Pálmi setzte sich immer noch nicht zur Wehr. Daníel redete wie ein Wasserfall mit sich selbst.
    »Fesseln. Aber nicht verletzen. Pálmi nicht wehtun. Aber ich muss. Ich muss. Darf ihm nicht wehtun. Nicht wehtun.«
    »Was machst du denn da, Danni?«, fragte Pálmi wieder. »Ist das ein Indianerspiel?«
    »Nein, nein. Ein anderes Spiel.«
    »Was für ein Spiel?«, fragte Pálmi und schaute aus dem Fenster hinaus in den blauen Frühlingshimmel.
    »Es kommt schon alles in Ordnung bei mir. Alles in Ordnung. Ja doch, ja, Gott stellt mich auf die Probe. Doch, bestimmt. Das tut er. Das tut er. Halt die Klappe. Halt die Klappe, du verdammter Idiot!«
    Daníel zog eine Streichholzschachtel aus der Hosentasche und kroch unter das Bett. Er hatte zwei Korkfliesen an einer Ecke des Bettes halb losgerissen. Nun zündete er sie an. Zuerst war das Feuer nicht groß, aber nach einer Weile züngelten die Flammen immer höher und leckten bereits an der Bettkante. Da endlich begann Pálmi zu schreien.
    Er brüllte wie

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